Kategorien
LiK.Map

Heinrich Böll – Vondelstraße 28

Vondelstraße 28, Aufnahme von 1998 © Foto: Heinrich-Böll-Archiv
Visitenkarte von Viktor Böll, 1925

1896 eröffneten Viktor Böll (1870–1960) und sein Kolpingbruder Wilhelm Polls (1866–1950) am Wormser Platz 13 [heute Martin-Luther-Platz] in der Kölner Südstadt ihr »Atelier für kirchliche Kunst«. Eine Schreinerei, die für die zahlreichen Sakralbauten in und um Köln Beichtstühle, Orgelbrüstungen, Bänke und anderes kirchliches Mobiliar anfertigte – und dies dank ihres Erfolges mit bis zu sechzehn Gesellen. Die positive Auftragslage führte dazu, dass der Handwerksbetrieb expandierte und die Geschäftspartner 1898 in der Vondelstraße zwei Häuser errichten konnten. Im gemeinsamen Hinterhof der Häuser Nr. 28 und Nr. 30 firmierte ab 1902 die Schreinerei unter dem Namen »Böll & Polls – Werkstatt für Kirchenmöbel«. Nachdem sich in den Jahren seit Ende des Ersten Weltkriegs die Auftrags- und Versorgungslage verschlechterte, trennten sich die Geschäftspartner 1920 gütlich und Viktor Böll, dem die Werkstatt verblieb, führte den Betrieb als »Kunsttischlerei, Werkstätten für kirchliche Kunst« bis in die 1930er Jahre erfolgreich weiter.

In seinem 1952 publizierten Essay Über mich selbst beschrieb Heinrich Böll als eine seiner ersten Erinnerungen die Schreinerwerkstatt seines Vaters: »Holzgeruch, der Geruch von Leim, Schellack und Beize; der Anblick frischgehobelter Bretter, das Hinterhaus einer Mietskaserne, in der die Werkstatt lag«. Besonders reizvoll war für ihn das Büro der Schreinerei, das er in seinem Text Was soll aus dem Jungen bloß werden? näher beschrieb. Das »Bürohäuschen war verlockend gemütlich, ganz aus Holz, etwas zwischen Blockhaus und Baracke, es hatte schöne, solide gearbeitete Rollschränke mit Schiebetüren aus grünem Glas, in denen Beschläge und Zeichnungen lagen: neogotische Türmchen, Säulchen, Blumen, Heiligenfiguren; Entwürfe zu Beichtstühlen, Kanzeln, Altären und Kommunionbänken, Möbeln, und es gab da noch eine alte Kopierpresse aus Vorkriegszeiten, und immer noch Kartons mit Glühbirnen mit Bajonettverschlüssen, obwohl wir doch Hunderte davon im Garten der Kreuznacher Straße zerschossen hatten. Grüne Bürolampen, ein großer Tisch mit grünem Linoleum; Leimplatten, Werkzeug.«
Die Schreibmaschine des Werkstattbüros diente dem jungen Heinrich Böll zur Niederschrift seiner ersten, stilistisch noch tastenden, thematisch aber selbstgewissen Schreibversuche:

Die ersten Arbeiten stehen ganz sicher unter dem Einfluß der Dostojewski-Lektüre. Das Ambiente von Raskolnikow und Arme Leute fand ich in der Nachbarschaft, in den Mietskasernen, in denen mein Vater seine Werkstatt hatte; das ganze Milieu und Viertelmaterial, das ich aus dieser Lektüre kannte.«

Heinrich Böll: Über mich selbst


Einige der aus dieser Zeit überlieferten Typoskripte wurden auf der Rückseite der Rechnungsformulare des Betriebs geschrieben: »Viktor Böll, Köln, Kunsttischlerei, Werkstätten für kirchl. Kunst, Vondelstraße 28–30. Im Februar 1933, kurz vor der nationalsozialistischen Machtübernahme, übertrug der zum damaligen Zeitpunkt 63jährige Viktor Böll die Werkstatt an Heinrich Bölls ältesten Bruder Alois (1911–1981), der sie bis zum Juli 1955 als selbständiger Schreinermeister weiterführte. Alois Böll wurde Heinrich Bölls erster Arbeitgeber als dieser Mitte September 1945 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurde. Von Oktober 1945 bis Mai 1946 arbeitete er als Hilfsarbeiter in der Werkstatt seines Bruders. Nach dem Tode Viktor Bölls 1960 wurde das Haus in der Vondelstraße verkauft und der Erlös unter den Erben aufgeteilt.

Anlässlich des 100. Geburtstage von Heinrich Böll produzierte der WDR 2017 eine Augmented-Reality Entdeckungsreise auf den Spuren des Autors durch die Kölner Südstadt. Wolfgang Niedecken führt die Betrachter auch in die Vondelstraße.  
Böll folgen: Heinrich Böll – in der Südstadt

© Gabriele Ewenz / Markus Schäfer, 2022

Gabriele Ewenz

Dr. phil., Literaturwissenschaftlerin, Leiterin des Heinrich-Böll-Archiv und des Literatur-in-Köln Archiv (LiK)

Markus Schäfer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin

Literatur

Siehe: Böll: Über mich selbst, S. 32; Was soll aus dem Jungen bloß werden?, S. 401.

Kategorien
LiK.Map

Wohnorte von Heinrich Böll

Neuenhöfer Allee

Neuenhöfer Allee 38, zeitgenössische Aufnahme, das Haus wurde im Krieg zerstört © Foto: Heinrich-Böll-Archiv
Heinrich und Annemarie Böll in ihrer Wohnung in der Neuenhöfer Allee 38, 1942 © Foto Erbengemeinschaft Heinrich Böll

Am 6. März 1942 wurden Annemarie Čech und Heinrich Böll im Rathaus der Stadt Köln standesamtlich getraut. Heinrich Böll war zu diesem Zeitpunkt noch in seiner Heimatstadt stationiert. Seine Verlegung an die französische Kanalküste erfolgte wenige Wochen später, am 7. Mai 1942. So erlebte Annemarie Böll allein die Zerstörung der ersten gemeinsamen Wohnung in der Kleingedankstraße 20 infolge des sogenannten ›1000 Bomber-Angriffs‹ auf Köln am 30./31. Mai 1942. In einem Telegramm schrieb Annemarie Böll an ihren Mann: »Unsere Wohnung total vernichtet; keine Verletzten; erbitte sofort Urlaub.« Dieser »Sonderurlaub für Bombengeschädigte« wurde gewährt und Heinrich Böll konnte im Juni die in der Neuenhöfer Allee 38 in Köln-Sülz gelegene Wohnung ebenfalls beziehen.

»Mir schien eine Woche Urlaub ein unermeßliches Honorar für eine Wohnung, in der keiner verletzt worden war, den Tausch ging ich gerne ein, denn EINE WOCHE IST EINE WOCHE, zu Kriegszeiten also eine Ewigkeit. In unsere zweite Wohnung bekamen wir kein Telefon mehr genehmigt; ich glaube, wir hatten sie drei Jahre ›inne‹, und es mag sein, dass ich eineinhalb bis zwei dutzendmal dort geschlafen habe. Nach einigen Versuchen, dort so etwas wie Wohnung zu finden, mieden wir sie; jedesmal, wenn wir uns dort trafen, war ein besonders schwerer Bombenangriff fällig.«

Wie von Böll im Rückblick des Jahres 1966 angedeutet, wurde auch diese im Erdgeschoß des Hauses gelegene Wohnung infolge eines Luftangriffs am 26. Februar 1943 beschädigt. Zwar konnte die Wohnung nach Instandsetzungsarbeiten zunächst weiterhin bewohnt werden, wurde infolge des Luftangriffs am 21. April 1944 jedoch letztlich ebenfalls unbewohnbar.
In seinem 1985 publizierten »Brief an meine Söhne« beschreibt Böll, wie er im Februar 1945 mit dem Fahrrad von Much aus nach Köln fuhr, um in der zerstörten Wohnung in der Neuenhöfer Allee dort noch verbliebenen Schmuck und sowie Teile des Familiensilbers zu retten.

© – Markus Schäfer, 2022

Markus Schäfer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin

Literatur

Siehe: Böll: An einen Bischof …, S. 260f.

Kategorien
LiK.Map

Wohnorte von Heinrich Böll

Hülchrather Straße 7, Wohnhaus der Bölls von 1969 bis 1982

Hülchrather Straße

Heinrich Böll auf dem Balkon in der Hülchrather Straße © Foto: Harry Schumacher

1969 mietete Heinrich Böll, durch die Vermittlung Vilma Sturms, in der Hülchrather Straße im Agnesviertel eine geräumige Altbauwohnung mit sieben Zimmern. Neben den Privaträumen waren hier auch die umfangreiche Bibliothek (sie kann heute in der Kölner Zentralbibliothek besichtigt werden) und das Arbeitszimmer der Sekretärin untergebracht.

Die Hülchrather Straße 7 war in den 1970er Jahren eine der bekanntesten Kölner Adressen. Die Fassade des Hauses gelangte im Zusammenhang mit der Verleihung des Literatur-Nobelpreises im Jahr 1972 in internationalen filmischen Portraits und Interviews Heinrich Bölls eine gewisse Berühmtheit.

Für die Ausgestaltung seiner Erzählungen und Romane zog Böll häufig reale Stadttopographien heran, so dass sich konkrete Beziehungen zwischen Georäumen und Texträumen herausarbeiten lassen. In seinem 1971 veröffentlichtem Roman Gruppenbild mit Dame finden sich zahlreiche Passagen, in denen die Topographien rund um die Hülchrather Straße detailliert beschrieben werden und deutlich hervortreten. So wohnt die Protagonistin Leni in einer »Sieben-Zimmer-Wohnung« in der »Bitzerathstraße« in unmittelbarer Nähe eines alten Festungsgrabens in der »Neustadt«. Die Darstellung entspricht weitgehend den realen Wohnverhältnissen Bölls, der von 1969 bis 1982 mit seiner Familie in der nördlichen Kölner Neustadt nahe der alten Festungsanlage von Fort X in einer Sieben-Zimmer-Wohnung des Hauses Hülchrather Straße 7 lebte. Auch bei der Beschreibung der Hoyser GmhH, die im Roman ihren Sitz im 12. Stockwerk eines Hochhauses am Rhein hatte, orientierte sich Böll an dem zur Entstehungszeit des Romans im Bau begriffenen Hochhaus, des Kölner Versicherungskonzern Gerling.  Mit dem sogenannten Ringturm, der sich am zentralen Ebertplatz an den Kölner Ringen befindet, schuf sich der Konzern ein repräsentatives und weit sichtbares Hochhaus in unmittelbarer Nähe zum Rhein.

In seiner Wohnung in der Hülchrather Straße traf Böll viele prominente Gäste, zu denen u.a. der bildende Künstler Joseph Beuys oder die Schauspielerin Romy Schneider zählen. Andere Zeitgenoss*innen wohnten sogar für einige Zeit dort, so etwa Wolf Biermann nach seiner Ausbürgerung aus der DDR im November 1976 oder Raissa Orlowa und Lew Kopelew, denen während ihres Deutschlandbesuchs ihre russische Staatsbürgerschaft entzogen wurde.

Heinrich Böll im Arbeitszimmer der Hülchrather Straße © Foto: Harry Schumacher

1971 schrieb Böll ein Portrait über seine Wohnstraße im Agnesviertel. Hülchrather Straße Nr. 7, so der Titel, ist ein Text zu einem Fotofilm von Bernd Schauer (Regie) und Antonie Richter (Fotografie), der 1972 im Rahmen der dreiteiligen Serie »Schriftsteller in ihren Straßen« für den »Sender Freies Berlin« produziert wurde. Bölls Reflexionen und Gedanken umkreisen den Umzug aus dem damals noch ländlichen Vorort Müngersdorf zurück in die Innenstadt, von spielenden Kindern und dem nachbarschaftlichen Miteinander bis hin zum Lärm und Schmutz der Großstadt.

Die Hülchrather Straße war die letzte Anschrift Heinrich und Annemarie Bölls in Köln bis zu ihrem Umzug aus der Stadt Ende des Jahres 1981. »Es gibt eben sehr viele Köln, in meiner Erinnerung drei, vier, fünf Köln, und das gegenwärtige ist mir schon durch den Autoverkehr fremd, völlig fremd. Ich finde die Stadt auch zerstört durch diese riesigen lauten Straßen. Die Überquerung einer Straße ist schon ein Abenteuer und ein gefährliches. Das hängt auch mit dem Alter zusammen. Es wird einem alles fremd.« Bölls verließen Köln, weil ihnen das Leben zu hektisch und die Stadt vom Autoverkehr zunehmend dominiert wurde.

Anlässlich des 100. Geburtstage von Heinrich Böll produzierte der WDR 2017 eine Augmented-Reality Entdeckungsreise auf den Spuren des Autors durch das Agnesviertel. Samay Böll, die Enkelin Bölls, führt die Betrachter auf einem Videowalk auch in die Hülchrather Straße Nr. 7. Böll folgen: Heinrich Böll – im Agnesviertel

© Gabriele Ewenz / Markus Schäfer, 2022

Gabriele Ewenz

Dr. phil., Literaturwissenschaftlerin, Leiterin des Heinrich-Böll-Archiv und des Literatur-in-Köln Archiv (LiK)

Markus Schäfer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin

Literatur

Siehe: Böll: Hülchrather Straße, Ders.: Weil die Stadt so fremd geworden ist, S. 217f.

Kategorien
LiK.Map

Zentralbibliothek der Stadtbibliothek Köln

»Die Töchter haben endlich eine Mutter«

Zentralbibliothek Köln © Foto Thomas Boxberger

Eine wesentliche Rolle in der Literaturvermittlung und -förderung kam seit ihrer Gründung 1890 der Kölner Stadtbibliothek zu, sie war und ist bis heute eine zentrale Anlaufstelle für Leser*innen und Autor*innen gleichermaßen. Bis 1979 war Köln jedoch die einzige Großstadt in Westdeutschland, ohne ein zentrales Bibliothekssystem. –

Anlässlich der Eröffnung einer Zweigstelle in der Antwerpener Straße, gab die »Neue-Rhein-Zeitung« am 16. November 1965 eine Äußerung des damaligen Kulturdezernenten Kurt Hackenberg wieder: »Hier sehen wir den seltenen Fall, daß eine Tochter vor der Mutter geboren worden ist.« Mit dieser geistreichen Bemerkung machte Hackenberg auf einen Umstand aufmerksam, der die schwierige Situation des Kölner Büchereiwesens auf den Punkt brachte:

Zwar verfügte die Stadt über ein gut ausgebautes Zweigstellennetz, das mit Hilfe privater Spenden im 19. Jahrhundert aufgebaut werden konnte, dennoch fehlte in der Mitte Kölns eine leistungsfähige, öffentliche, wissenschaftliche Bibliothek für die Kölner Bevölkerung.

Erste Pläne für den Bau einer Zentralbibliothek gab es bereits 1906. Unter den Stadtteilbibliotheken erwies sich die sogenannte »Volksbibliothek 1«, die mitten im Zentrum lag, als besonders erfolgreich. Hier wurden bereits 35% des Ausleihverkehrs des gesamten Bibliothekssystems abgewickelt. »Die Errichtung einer größeren und reicher ausgestatteten Zentrale anstelle der zu eng gewordenen Bibliothek 1« wurde im Verwaltungsbericht der Stadt Köln von 1910 als ein erstrebenswertes Ziel bezeichnet. Durch die enormen Kriegszerstörungen, insbesondere im Zweiten Weltkrieg, lag eine Umsetzung dieser Pläne jedoch in weiter Ferne. Während die Bestände der Universitätsbibliothek zum überwiegenden Teil während der Kriegsjahre ausgelagert werden konnten, hatten die Volksbüchereien der Stadt unter den Kriegshandlungen schwer gelitten. 1945 existierten hier von ehemals 170 000 Bänden nur noch 61 000, von denen wiederum lediglich 3600 zur Verfügung standen, da zunächst nur vor 1933 erschienen Werke zum Leihverkehr zugelassen wurden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Wiederaufbau des Kölner Büchereiwesens vor allem durch eine großflächige Literaturversorgung des Kölner Stadtraums betrieben. Der erste Direktor nach dem Krieg, Leo Schwering, stand 1945 vor den Trümmern. Keine der vierzehn Büchereien war verschont geblieben; die meisten waren vollständig zerstört. 1945 konnten bereits 4 Büchereien und die Musikbücherei in provisorisch hergerichteten Unterkünften und mit magerem Angebot eröffnet werden. 1946 war auch die Blindenbücherei wieder zugänglich. Die Weichen für den Aufbau der Kölner Büchereien waren gestellt. Bis 1958 wurden sieben weitere Ortsteilbüchereien eröffnet. Die Direktion, die abgetrennt von den Zweigstellen in Bürohäusern untergebracht war, bezog nach mehreren Umzügen 1953 ihr Standquartier im Johannishaus. Dort blieb sie über 25 Jahre. 1959 stimmte der Rat der Stadt dem Entwurf für den Bebauungsplan am Josef-Haubrich-Hof zu. Hier sollten langfristig, neben dem Museum Schnütgen, eine Volkshochschule, die Kunsthalle und die Zentralbibliothek entstehen. Erst zwanzig Jahre später kam es zur Ausführung dieser ambitionierten Vorhaben.

Geplant wurde eine Bibliothek, die den Anforderungen an eine Großstadtbibliothek jener Jahre gerecht wird. Modernste Technik, große Benutzerfreundlichkeit sowie ästhetische und städtebauliche Gesichtspunkte wurden bei der Planung berücksichtigt.

 »Inhalt und Funktion sollen von Außen sichtbar und verständlich sein. Dieser Absicht kommt am besten ein transparentes Haus entgegen, in das man hineinsehen kann und dessen Lebendigkeit und Vielfalt nach außen wirken. Wie eine Vitrine, ein Schaufenster soll die Zentralbibliothek Neugier wecken und den Wunsch einzutreten.«  

Horst-Johannes Tümmers, 1979

Besonderen Wert wurde auch auf die Inneneinrichtung und das visuelle Erscheinungsbild gelegt, das von dem Designer Helmut Schmidt-Rehn konzipiert wurde.  Bauplanung und -ausführung ist das Ergebnis einer engen und konstruktiven Zusammenarbeit von Bibliothekar*innen, Architekt*innen, Designer*innen und bildenden Künstler*innen. Nach vierjähriger Bauzeit wurde Kölns erste Zentralbibliothek am 21. September 1979 feierlich im Forum der VHS am Josef-Haubrich-Hof, an dem neben den Stadthonoratioren auch der Ministerpräsident des Landes NRW Johannes Rau (1931–2006) und Heinrich Böll teilnahmen, eröffnet. Besonders erfreulich war, dass nun auch den Sondersammlungen gebührender Raum zugesprochen wurde. Vier Tiefgeschosse boten hinreichend Platz um die Bestände der Stadtbibliothek und der Archive adäquat zu lagern. Neben dem LiK– und Heinrich-Böll-Archiv konnte sich auch die von Heinrich Böll und Paul Schallück gegründete Spezialbibliothek zum deutschsprachigen Judentum, die »Germania Judaica« räumlich entfalten.

Umtrunk nach der Eröffnung: v.l.n.r.: Horst J. Tümmers, Johannes Rau, Marianne Kühn, Heinrich Böll, Peter Nestler © Foto Stadtbibliothek Köln
Kategorien
LiK.Map

Wohnorte von Heinrich Böll

Maternusstraße

Maternusstraße 32. Wohnhaus der Familie Böll. Aufnahme von 1998 © Viktor Böll

Mit dem Wohnungswechsel vom Ubierring in die Maternusstraße erlebte der jugendliche Heinrich Böll einen weiteren markanten Umbruch in seinem Leben.

»Wir wohnten nach einem weiteren Umzug innerhalb von zwei Jahren in der Maternusstraße 32, hatten uns gegenüber die triste Rückfront der damaligen Maschinenbauschule, waren immerhin nicht sehr weit vom Rhein entfernt, und vom Erkerfenster aus konnten wir das gotisierte dreigiebelige Lagerhaus der »Rhenus« sehen, das ich immer und immer wieder aquarellierte.«

In der Maternusstraße verbrachte Böll die längste und prägendste Zeit seiner Jugend, angefangen von den angenehmen Erinnerungen an den Geruch von Rohkakao aus der Nachbarschaft der Stollwerck-Schokoladenfabrik bis hin zum Erleben des aufkommenden Nationalsozialismus und den Straßenschlachten zwischen kommunistischen und nationalsozialistischen Gruppen in der Südstadt. Heinrich Böll war fünfzehn Jahre alt, als im Januar 1933 die NSDAP die Macht ergriff und er schildert in dem autobiographischen Essay Was soll aus dem Jungen bloß werden seine Schulzeit von 1933 bis zu seinem Abitur 1937. Darin beschreibt er die oppositionelle Haltung der Mutter gegenüber den Nazis, die widerständleriche Auffassung der Geschwister und Begegnungen mit Widerstandskämpfern, die ein illegales Treffen der katholischen Sturmscharführung in der Wohnung abhielten. In dem Text Über mich selbst erinnert Böll sich an diese Zeit in Köln, »wo man Hitler mit Blumentöpfen bewarf, Göring öffentlich verlachte, den blutrünstigen Gecken, der es fertigbrachte, sich innerhalb einer Stunde in drei verschiedenen Uniformen zu präsentieren; ich stand, zusammen mit Tausenden Kölner Schulkindern Spalier, als er in der dritten Uniform, einer weißen, durch die Stadt fuhr; ich ahnte, daß der bürgerliche Unernst der Stadt gegen die neu heraufziehende Mechanik des Unheils nichts ausrichten würde; geboren in Köln, das seines gotischen Domes wegen berühmt ist, es aber mehr seiner romanischen Kirchen wegen sein müßte; das die älteste Judengemeinde Deutschlands beherbergte und sie preisgab; Bürgersinn und Humor richteten gegen das Unheil nichts aus, jener Humor, so berühmt wie der Dom, in seiner offiziellen Erscheinungsform schreckenerregend, auf der Straße manchmal von Größe und Weisheit.«

Markus Schäfer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin

Literatur

Siehe: Böll: Was soll aus dem Jungen, S. 392; Über mich selbst, S. 31.

Kategorien
LiK.Map

Wohnorte von Heinrich Böll

Schillerstraße

Wohnhaus der Familie Böll in der Schillerstraße 99; Bölls Arbeitszimmer: Mansardenfenster rechts © Erbengemeinschaft Heinrich Böll

1946 kehrte die Familie aus dem rechtsrheinischen Dorf Neßhoven im Bergischen Land, wohin zunächst Annemarie und später Heinrich Böll nach den Zerstörungen in Köln evakuiert wurden, nach Köln in die Schillerstraße 99 zurück.

Als Schreiner hatte Heinrich Bölls Bruder Alois durch Instandsetzungsarbeiten im Kölner Stadtteil Bayenthal auf dem Grundstück der Schillerstraße 99 ein Haus gefunden und für den eigenen Bedarf bewohnbar gemacht.

»Wir begannen in einem Trümmerhaus in der Schillerstraße in Köln-Bayenthal – schlichtweg als Hausbesetzer, wurden später zu Instandbesetzern. (Zugegeben: diese Art von Besetzung war seinerzeit legal; auch unsere eigene Wohnung war legal besetzt worden – und futsch.) Interessant wäre nur, einmal festzustellen, wie viele Einwohner Kölns damals als Hausbesetzer begannen. Es gab da einen Stichtag, nach dem, was nicht bewohnt, für Besetzung frei war.«

Das zweigeschossige Einfamilienhaus mit sieben Zimmern und drei Mansarden war durch den Krieg zwar geschädigt, aber nicht völlig zerstört und wurde vom Kölner Wohnungsamt am 15. August 1945 Heinrich Bölls Vater Viktor Böll amtlich zugewiesen. Von den vier auf der ersten Etage gelegenen Zimmern bezogen zwei Annemarie und Heinrich Böll; eine Mansarde diente als Arbeitszimmer. Die übrigen fünf Räume und die noch verbliebenen zwei Mansarden teilten sich Viktor Böll, Mechthild Böll – beide ebenfalls auf der 1. Etage –, Alois und Maria Böll mit ihren 1948 dann sechs Kindern, die Schwester Gertrud, die aus Bonn zurückgekommen war, sowie einige Bekannte der Familie, so dass bis zu 17 Personen in dem Haus wohnten.

Heinrich Böll im Arbeitszimmer in der Schillerstraße, 1952 © Foto Hans Lenz

Die ersten Jahre in der Schillerstraße waren schwierig, denn obwohl Heinrich Böll heute als einer der erfolgreichsten Repräsentanten der Nachkriegsliteratur beschrieben wird, bedrängten ihn ständige Existenznöte. Annemarie Böll sicherte den Lebensunterhalt zunächst durch ihre Anstellung als Lehrerin, später, nach der Geburt der Söhne Raimund (1947), René (1948) und Vincent (1950) arbeitete sie als Übersetzerin. Für Heinrich Böll war diese Phase im Blick auf den Umfang der literarischen Produktion dennoch die intensivste Zeit. In der Liste der Arbeitsplätze werden für die Schillerstraße 99 im Zeitraum »bis 54«, also dem Umzug in die Belvederestraße 35 in Köln-Müngersdorf, 230 Texte notiert – darunter der 1946/47 geschriebene, umfangreiche Roman Kreuz ohne Liebe.

Markus Schäfer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin

Literatur

Siehe: Böll: Hoffentlich kein Heldenlied, S. 79f.

Kategorien
LiK.Map

Wohnorte von Heinrich Böll

Belvederestraße

Wohnhaus der Familie Böll in der Belvederestraße 35 © Erbengemeinschaft Heinrich Böll

Von Juli 1954 bis 1969 wohnten Annemarie und Heinrich Böll, die Kinder Raimund, René, Vincent sowie der Vater Viktor und die Schwester Mechthild Böll in einem neuerrichteten Haus in der Belvederestraße 35 im Stadtteil Müngersdorf.

Erste Pläne für einen Hausbau entstanden bereits im Dezember 1952, da die Wohnverhältnisse in der seit 1946 bewohnten Schillerstraße für die Familie zu beengt geworden waren. Im Sommer 1953 wurde mit dem Bau des neuen Domizils in Köln-Müngersdorf begonnen. Das Gebäude hob sich nicht nur mit dem unverputzten Mauerwerk von den Nachbarhäusern ab, sondern auch durch seine Architektur mit der Verwendung eines Pultdaches. Durch den Hausbau entstand eine angespannte Finanzlage und Böll versuchte das Budget durch Lesungen und Tagungen aufzubessern. Für den Zeitraum vom September 1954 bis zum Dezember 1955 bestritt er mehr als 51 Lesungen. Zwischen den vielen Reisen fand er in dem Haus dennoch nicht die Ruhe für komplexere Arbeiten, etwa die Romanprojekte. Für diese Arbeitsphasen mietete er sich zunächst Wohnungen in der Innenstadt oder in anderen Stadtteilen, etwa in Lövenich. Anfang der 1960er Jahre baute er in seinem Garten eine Holzlaube, vielmehr ein Arbeitszimmer, in das er sich für die Arbeit zurückziehen konnte. In einem Rundfunkbeitrag mit dem Titel Stichwort äußert sich Böll 1964 recht ausführlich zu seiner Müngersdorfer »Örtlichkeit«:

»Der Vorort, in dem wir wohnen, ist immer noch Dorf. Kaum fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, erhält sich die Dörflichkeit aus geographischen Gründen. Jedenfalls im oberen Teil des Dorfes. […] Große Bauernhöfe, die schon lange nicht mehr als solche betrieben werden, alte Bäume, von denen einer – das sind Einzelheiten, wie die Kinder sie aus dem Heimatkundeunterricht mitbrachten –, von denen einer als die zweitgrößte Rotbuche Nordrhein-Westfalens bezeichnet wird: ein wahrhaft majestätischer Baum. Wir sehen ihn vom Fenster aus; er steht ungefähr an der Stelle, von der aus, wie die Dorflegende berichtet, Napoleon, als er hier einmarschierte, auf das ihm zu Füßen liegende Köln geblickt haben soll.«

Heinrich Böll: Stichwort: Örtlichkeit, 1964

1969 zogen Annemarie und Heinrich Böll und die drei Söhne wieder in die Innenstadt in die Nähe des Rheins:

»Fast fünfzehn Jahre lang wohnten wir zu weit von ihm entfernt, war der Rhein nur Ausflugsziel. In seiner permanenten, wer weiß wie alten Vergänglichkeit sagt er nichts, indem er für sich selbst spricht; er ist beruhigender als das Rasenmäherkonzert.«

Heinrich Böll: Hülchrather Straße, 1972

Besonders störend für Böll waren neben dem oft angeprangerten Autolärm, die ruhestörenden Geräusche von Rasenmähern, die für ihn Anlass genug boten, um aus der ländlichen Idylle zurück in die »Großstadtschluchten« zu ziehen: »[…] vielleicht zieht man nur um, um den mißlichen Zwang eines dauernd nach Pflege schreienden Rasens loszuwerden«.

2007 ließ der Bürgerverein Köln-Müngersdorf eine bronzene Gedenktafel anlässlich des 90. Geburtstages des Schriftstellers an der Mauer vor Bölls Haus in der Belvederestraße anbringen.

Markus Schäfer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin

Literatur

Siehe: Böll: Hülchrather Straße, S. 77-78; Stichwort, S. 298.

Kategorien
LiK.Map

Unter Krahnenbäumen

Buchumschlag von Chargesheimer: »Unter Krahnenbäumen«, Köln 1958

Der Kölner Fotograf Chargesheimer (1924-1971) veröffentlichte 1958 den Bildband Unter Krahnenbäumen – Bilder aus einer Straße« mit einem autobiographischen Nachwort von Heinrich Böll. Der Band erzählt in Bildern die Geschichte einer Straße im Ablauf eines Jahres. ›UKB‹, wie die Straße auch genannt wird, gilt als Inbegriff des ›alten Kölns‹. Chargesheimer zeigte mit den Mitteln der Fotografie den Alltag und die Festtage der Menschen, die in dieser Straße lebten. Weit davon entfernt, das Spektakuläre zu sehen, hält er mit seinen Bildern menschliche Schicksale fest, dokumentiert Einsamkeit und Gemeinschaft der Bewohner dieses Viertels. Bölls Nachwort Straßen wie diese fasst mit den Mitteln der Poesie, was Chargesheimer bildkünstlerisch gestaltete:

»Durch Straßen wie diese führte mein Schulweg, sieben Jahre lang; viele tausend Male bin ich durch solche Straßen gegangen, aber nie in sie eingedrungen; erst viel später – in der Erinnerung begriff ich, was Straßen wie diese bedeuten, ich begriff es, wie man plötzlich Träume begreift, wenn ich in fremden Städten stundenlang durch Straßen ging und eine wie diese suchte, aber nicht fand.«

Heinrich Böll: Straßen wie diese (1958)

Der durch Böll und Chargesheimer formulierte Charakter der Straße ging durch den Bau einer Schnellstraße, der sogenannten Nord-Süd-Fahrt, verloren. Die Herkunft des Straßennamens ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Anfang des 19. Jh. hieß die Straße noch »Hinter Cranenbaumen«. Der Cranenboym war ein mittelalterlicher Ausdruck für den Wacholderbaum, auf dem sich gerne Krähen niederließen. Möglich ist auch ein Bezug zu dem in diesem Bereich dokumentierten Gutshof »Zum Kranich«, auch Krahnenhof genannt. Musikalische Denkmäler wurden der Straße u. a. von Willi Ostermann mit seinem kölschen Heimatlied Kinddauf-Fess Unger Krahnebäume (1909) und von der Gruppe BAP errichtet, deren Lied Unger Krahnebäume als melancholischer Abgesang auf das Eigelsteinviertel zu verstehen ist.

– GE

Literatur: Böll: Straßen wie diese, S. 427.

Kategorien
LiK.Map

Wohnorte von Heinrich Böll

Ubierring

Ubierring 27. Bölls Wohnhaus wurde im Krieg zerstört. Aufnahme von 1998 © Viktor Böll

Heinrich Böll erlebte als Elfjähriger im Herbst 1929 die Zwangsveräußerung des Hauses in Raderberg und den Umzug in die Kölner Innenstadt. Für ihn war der Wechsel in die urbane Umgebung mit der Mietwohnung am Ubierring 27 ein Schock. Als 21jähriger schrieb er über das »herrschaftliche Mietshaus«, in dem er sich »beim Schein einer ärmlichen Lampe, im trübsinnigen Schlafzimmer« der Wohnung, »deren Zimmer aneinandergereiht an einem langen Flur lagen« den Büchern widmete und die Literatur als Form der Auseinandersetzung mit der Welt für sich entdeckte:

»Aus dem Fenster gab es nur einen Blick, in einen engen, schachtähnlichen, schmutzigen Hof. Wenn man den Himmel sehen wollte, musste man sich schon weit hinaus recken. Da las ich Dostojewski. Ich warf mittags die Schultasche in eine Ecke und verkroch mich, ob draußen Sonnenschein oder Regen war, in das finstere Zimmer.«

Heinrich Böll: Wenn ich danken müßte (1938).

Bedingt durch die zunehmende schwieriger werdende wirtschaftliche Situation, konnten die Bölls die Miete für die Wohnung nicht mehr aufbringen. 1932 erfolgte ein erneuter Umzug der Familie in die ebenfalls in der Südstadt gelegene Maternusstraße.

Markus Schäfer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin

Literatur

Siehe: Böll: Wenn ich danken müßte, S. 282.

Kategorien
LiK.Map

Wohnorte von Heinrich Böll

Kreuznacher Straße

Wohnhaus der Familie Böll in der Kreuznacher Straße 49 © Erbengemeinschaft Heinrich Böll

Im Juli 1922 bezog die Familie Böll eines von sechs neuerrichteten Wohnhäusern in der Siedlung »Am Rosengarten« im Stadtteil Raderberg. Das Haus wurde von einer Baugenossenschaft errichtet, zu der sich einige Familienmitglieder zusammengeschlossen hatten. Ihr Vorsitzender Theodor Böll war wie der Architekt Aloys Böll ein Onkel Heinrich Bölls. Alle anfallenden Schreinerarbeiten wurden von seinem Vater Viktor übernommen.

Heinrich Böll verbrachte in Raderberg zunächst die wohl unbeschwertesten Jahre seiner Kindheit und ersten Schulzeit. Als Klaus Wagenbach 1965 Böll dazu aufforderte, einen besonderen Ort zu porträtieren, wählte er Raderberg und widmete vor allem dem angrenzenden Vorgebirgspark eine ausführliche Beschreibung.

»Acht Jahre lang wohnten wir in dieser Straße, die von zwei ›Lagern‹ bestimmt war, dem bürgerlichen und dem sozialistischen (das waren damals noch wirkliche Gegensätze!), oder von den ›Roten‹ und den ›besseren Leuten‹. Ich habe nie, bis heute nicht begriffen, was an den besseren Leuten besser gewesen wäre oder hätte sein können.«

Heinrich Böll: Raderberg, Raderthal (1965)

Bölls sorglose Kindheit wurde jäh beendet, als in Folge der Weltwirtschaftskrise 1929 die »Rheinische Kredit-Anstalt«, für die Viktor Böll als Bürge gezeichnet hatte, liquidiert wurde. Durch die 1930 abgerufenen Bürgschaften geriet die Familie in massive wirtschaftliche Bedrängnis, sodass letztlich das Haus in der Kreuznacher Straße veräußert werden musste. »Es war ein düsteres Jahr. Totaler finanzieller Zusammenbruch, nicht gerade eine klassische ›Pleite‹, nur ein ›Vergleichsverfahren‹, ein Vorgang, den ich nicht durchschaute, es klang jedenfalls vornehmer als ›Bankerott‹, hing mit dem Zusammenbruch einer Handwerkerbank zusammen, deren Direktor dann auch, wenn ich mich recht entsinne, hinter Gitter kam. Mißbrauchtes Vertrauen, verfallene Bürgschaften, unseriöse Spekulationen. Unser Haus im Grünen mußte verkauft werden, und es blieb kein Pfennig von der Kaufsumme übrig.«

Markus Schäfer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin

Literatur

Siehe: Böll: Raderberg; Böll: Husten