In einer kleinen Präsentation zeigt das Literatur-in-Köln-Archiv (LiK) vom 8. Mai bis 5. Juli 2023 eine Auswahl der Druckwerke von Rolf W. Wülfing. In seinem Sülzer Atelier in der Ägidiusstraße entstehen Bücher, Kunstbücher, Flyer, Postkarten und Mappenwerke, die Wülfing noch im klassischen Buchdruckverfahren auf mechanischen Handpressen herstellt. Über seine Arbeit und die Entstehung seiner Bücher schreibt Wülfing:
»Ich wollte schon immer ein Buch machen… ich habe in Aachen Chemie studiert, in der Klenkes-Druckerei an einer ›Heidelberg‹ Farbe auf die Walzen aufgetragen, nach meiner Berufstätigkeit als Chemielehrer 2011 ein Atelier gemietet, Schriftsätze und eine Druckwalze ›Nudel‹ gekauft und angefangen ein Buch mit eigenen Texten zu drucken. Viele Tipps habe ich von ehemaligen Schriftsetzern, Druckern, Graphikern, Buchbindern, die interessiert in mein Atelier hineingeschaut haben, erhalten. Ich habe gelernt, was reproduzierbarer Papiersitz, Aufzugstärke, Verlaufsrichtung, Falzbein bedeutet … und schließlich gab es gebunden das erste Buch Ich muss nicht immer Freitags nach Venedig fliegen, die Raus- und Heimtexte… Die Arbeit hat mir viel Spaß gemacht und ich war stolz. Mittlerweile betreibe ich im 11ten Jahr eine kleine Druckerei, habe fast 20 Bücher und graphische Druckwerke geschaffen. Die Themen schöpfe ich aus meiner Umgebung, meinem Leben und meinen Fragen, Erinnerungen und Interessen. Zudem drucke ich kleine Aufträge für private Anlässe und Geschäfte. Arbeiten u.a. von Lawrence Wiener, Graphik und reduzierte Darstellungen sind meine Orientierung. In versteckter Weise schöpfe ich vermutlich aus der Kombination Chemie, Lehrertätigkeit und praktizierter Musik die Lust zur Arbeit. Ich finde Sinn im Gestalten und Drucken. So soll es weitergehen!«
Am 6. März 1942 wurden Annemarie Čech und Heinrich Böll im Rathaus der Stadt Köln standesamtlich getraut. Heinrich Böll war zu diesem Zeitpunkt noch in seiner Heimatstadt stationiert. Seine Verlegung an die französische Kanalküste erfolgte wenige Wochen später, am 7. Mai 1942. So erlebte Annemarie Böll allein die Zerstörung der ersten gemeinsamen Wohnung in der Kleingedankstraße 20 infolge des sogenannten ›1000 Bomber-Angriffs‹ auf Köln am 30./31. Mai 1942. In einem Telegramm schrieb Annemarie Böll an ihren Mann: »Unsere Wohnung total vernichtet; keine Verletzten; erbitte sofort Urlaub.« Dieser »Sonderurlaub für Bombengeschädigte« wurde gewährt und Heinrich Böll konnte im Juni die in der Neuenhöfer Allee 38 in Köln-Sülz gelegene Wohnung ebenfalls beziehen.
»Mir schien eine Woche Urlaub ein unermeßliches Honorar für eine Wohnung, in der keiner verletzt worden war, den Tausch ging ich gerne ein, denn EINE WOCHE IST EINE WOCHE, zu Kriegszeiten also eine Ewigkeit. In unsere zweite Wohnung bekamen wir kein Telefon mehr genehmigt; ich glaube, wir hatten sie drei Jahre ›inne‹, und es mag sein, dass ich eineinhalb bis zwei dutzendmal dort geschlafen habe. Nach einigen Versuchen, dort so etwas wie Wohnung zu finden, mieden wir sie; jedesmal, wenn wir uns dort trafen, war ein besonders schwerer Bombenangriff fällig.«
Wie von Böll im Rückblick des Jahres 1966 angedeutet, wurde auch diese im Erdgeschoß des Hauses gelegene Wohnung infolge eines Luftangriffs am 26. Februar 1943 beschädigt. Zwar konnte die Wohnung nach Instandsetzungsarbeiten zunächst weiterhin bewohnt werden, wurde infolge des Luftangriffs am 21. April 1944 jedoch letztlich ebenfalls unbewohnbar. In seinem 1985 publizierten »Brief an meine Söhne« beschreibt Böll, wie er im Februar 1945 mit dem Fahrrad von Much aus nach Köln fuhr, um in der zerstörten Wohnung in der Neuenhöfer Allee dort noch verbliebenen Schmuck und sowie Teile des Familiensilbers zu retten.
Nein, das Haus in der Emmastraße 27 in Köln-Sülz, in das Luise Straus-Ernst 1929 einzog, hat nichts von dem »funkelnden Edelstein«, mit dem ihr Sohn Jimmy es später verglich. Es ist ein schmuckloser Bau, fast etwas trist in seinem Einheitsgrau, aber damals war es wohl richtig modern, vor allem im Vergleich zum Protz- und Prachtpalast am Kaiser-Wilhelm-Ring 14, wo sie vorher gewohnt hatte, im Haus eines deutsch-nationalen Zahnarztes mit Schmissen im Gesicht, der kein Hehl daraus machte, dass er sie nicht mochte: Jüdin, geschieden, mit dubiosen Künstlern und Kommunisten verkehrend, und dazu noch Schriftstellerin, Kunsthistorikerin und Journalistin – nichts Solides, sodass sie oft mit der Miete im Rückstand war.
Buchumschlag unter Verwendung einer Fotografie von August Sander, L. Straus-Ernst und Jimmy Ernst, Köln 1928
Sie war froh, als sie endlich ausziehen konnte aus diesem Haus, in dem alles noch an Max Ernst (1891–1976) erinnerte, ihren einstigen Mann, der sie 1922 verlassen hatte, obwohl ihr Sohn Jimmy (1920–1984) damals nicht einmal zwei Jahre alt war. In seinem ehemaligen Atelier lagen noch immer Bilderstapel, die er irgendwann abholen wollte, um sie zu verkaufen. Es roch noch immer nach Farbe, Leim und nach Ehestreit, denn er konnte furchtbar wütend werden, wenn sie nicht gut genug gefegt hatte oder ihm beim Malen über die Schulter sah. Das Wohnzimmer war mit seltsamem Nippeskram eingerichtet, auf den er, warum auch immer, bestanden hatte, Blumentöpfen, Mahagoni-Möbeln, Antiquitäten, Fotos in Goldrahmen und zerschlissenen Perserteppichen.
Das schaffte sie alles fort und kaufte sich neue, moderne Möbel, die sie zartgrün lackierte. Für die Wände wählte sie ein helles Grau und um die Lampen band sie Schleier aus rosa Gaze, die fast ein wenig frivol wirkten, ähnlich wie der breite, groß geblümte Diwan, auf dem schon viele Männer gesessen hatten, Kurt Weill, Hanns Eisler, Bertolt Brecht, Joachim Ringelnatz und »der kölsche Willi«.
Die Wohnung im vierten Stock war hell und freundlich, hatte einen Balkon und für jeden ein eigenes Zimmer, für sie selbst, für Jimmy und sogar für Maja, Jimmys Ersatzmutter, die sich um sein körperliches Wohl sorgte, während Luise für das geistige zuständig blieb und ihn mit ihren berühmten Freunden bekanntmachte.
Sie kamen gerne, seitdem sie umgezogen war und nicht mehr in der dunkeln Dachwohnung am Ring lebte. Ringelnatz zum Beispiel, der fast immer betrunken, aber meistens sehr gut gelaunt war. Als Jimmy einmal befürchtete, Maja könnte sein Frühstücksei zu weich gekocht haben, nahm Ringelnatz es in die Hand, trat auf den Balkon und ließ es hinunter auf die Emmastraße fallen, um zu prüfen, ob es nicht doch vielleicht hart genug sei?
Am Kaiser-Wilhelm-Ring hatten sie unter Ärzten, Bankiers und Kommerzienräten gelebt. Hier, auf der Emmastraße, wohnte der Mittelstand: kleine Kaufleute, Handwerker und Sekretärinnen, ein paar Lehrer und Buchhalter, eine Klavierlehrerin. Die Straße war kurz, schmal und sehr überschaubar. Jeder kannte jeden. Am bekanntesten war Hans Wocke (1904–1972), Sänger beim Westdeutschen Rundfunk, den man manchmal mit seinem schönen Bass-Bariton singen hörte:
Rose Marie, Rose Marie, Sieben Jahre mein Herz nach Dir schrie, Rose Marie, Rose Marie, Aber du hörtest es nie.
Gleich um die Ecke fing Frankreich an, auf der Sülzburgstraße nämlich, wo es so bunt und so fröhlich zuging wie in einem Quartier von Paris und es buchstäblich alles zu kaufen gab: Schuhe, Nähmaschinen, Bücher, Süßigkeiten, Kolonialwaren, Fleisch, Seife, Obst, Blumen, Spielsachen, Brillen, ja, leider auch Kuchen, den Luise oft und gern zu sich nahm und mit einem Extra-Klecks Sahne versah, obwohl sie ohnehin schon zur Fülle neigte und nicht sehr groß war.
Sülz oder »Sölz«, wie die Kölner es nannten, wirkte überhaupt sehr französisch mit seinen vielen schön angelegten Plätzen, dem Auerbach-Platz, dem Hermeskeiler Platz, dem De-Noel-Platz und dem Manderscheider Platz, auf denen Jimmy und seine Freunde Fußball spielten oder als Cowboys, Trapper und Indianer miteinander kämpften. Nach solchen Nachmittagen kam er glücklich und erschöpft zurück in die Emmastraße, wo Maja ihm manchmal den Hintern versohlte, weil er sich schon wieder schmutzig gemacht hatte. Aber am Abend, wenn sie gemeinsam um den Ess-Tisch saßen, war alles wieder gut. »Die Themen reichten von Trivialitäten bis zu Tragödien«, schreibt Jimmy in seinen Erinnerungen. »Unser Beisammensein zwanglos und intim, als wären wir die drei einzigen Menschen auf der Welt.« Später, wenn er schon im Bett war, legte Lou eine Jazzplatte auf, schenkte sich ein Glas Wein ein und tanzte einen Tango mit sich selbst.
Sie lebte ganz für ihren Sohn, ihre Freunde und ihre Arbeit, ihre Artikel für den Querschnitt, die Vossische, den Westdeutschen Rundfunk und die Dresdner Neuesten Nachrichten. Dabei ging es um Kunst und Kultur, Reisen, den Dom, den kölschen Karneval, um moderne Architektur, manchmal um Frauenthemen, aber niemals um Politik, denn Politik interessierte sie nicht. »Ich hatte mich nie aktiv mit Politik befasst, die Zeitungen eher flüchtig gelesen und mich immer auf meine Arbeit konzentriert«, schreibt sie in ihren Erinnerungen.
Deshalb merkte sie nicht, dass seit 1932 in den Straßen gekämpft wurde, dass Nachbarn ein Hakenkreuzabzeichen am Revers trugen, sich im Park hinter der Nikolaus-Kirche trafen und das Horst-Wessel-Lied sangen, wobei es manchmal zu Schlägereien mit Kommunisten kam, nach denen Verletzte oder gar Tote im Gebüsch lagen. Sie glaubte auch nicht, dass es wirklich stimmte, als Jimmy mit tränenerstickter Stimme erzählte, drei SA-Leute hätten ihn an einer Straßenecke überfallen und ihm die Hose heruntergezogen, weil sie sehen wollten, ob er Jude sei. Das könne nicht sein, sagte sie, der Krieg sei vorbei, der Kaiser im Exil und der Oberbürgermeister, Konrad Adenauer, ein freundlicher Demokrat, der auch die Juden in ihrer Stadt beschützen würde.
Eines Nachts, kurz nach dem Reichstagsbrand, klingelten zwei SS-Leute an ihrer Tür. Sie verlangten, in die Wohnung eingelassen zu werden und durchwühlten Papiere, Kleider, Bücher und Kunstwerke, ja sogar Jimmys Spielsachen. Das war das Ende einer kurzen, glücklichen Zeit auf der Emmastraße. Luise beschloss, ins Pariser Exil zu gehen. Im Mai 1933 fuhr sie ab. Maja und Jimmy begleiteten sie zum Bahnhof und gingen zurück in die schon fast leer geräumte Wohnung, wo sie ein letztes Mittagessen zusammen einnahmen. Danach sollte Jimmy zu seinen Großeltern ziehen, die er nicht sonderlich liebte. Am nächsten Tag, einem Montag, ging er wie in Trance von der Schule zurück in die Emmastraße. Hinter der geschlossenen Wohnungstür hörte er gewaltigen Lärm. Es klang, als ob Möbel geschoben würden. Als er klingelte, öffnete ihm ein Unbekannter:
»Heißt du Ernst?« wurde er gefragt. Er nickte. Der Mann machte die Tür wieder zu sagte: »Du wohnst hier nicht mehr.«
In seiner autobiographischen Schrift Die Arbeit des Lebens, beschrieb Dieter Wellershoff ausführlich den Umzug von Rodenkirchen nach Sülz. Die Familie bewohnte dort ein Reihenhaus mit einem großen verwilderten Garten, in dem Nuss- und alte Obstbäume standen. Optimale Wohnbedingungen fanden die Wellershoffs jedoch auch hier nicht vor, denn das Haus ließ sich im Winter nur schlecht beheizen. Auch das Arbeitszimmer, unter dem Dach gelegen, erinnerten den Autor an einen ›Verschlag‹, in dem er als Student in Bonn wohnte. Vorteilhaft war die Lage des Arbeitszimmers in einer Hinsicht aber dennoch, »da es unter dem Dach lag, wurde es nicht vom Leben der Familie umpulst, zu dem auch die Freunde der heranwachsenden Kinder gehörten, unter anderem eine Rockband, die manchmal in unserem Keller probte.« – Zehn Jahre wohnten die Wellershoffs in Köln-Sülz. Das letzte Buch, das der Autor in der Morbarcher Straße schrieb war der Roman Die Schönheit des Schimpansen (1977).
Beethovenpark
Am südwestlichen Rand des Stadtteils erstreckt sich zwischen Neuenhöfer Allee und Militärring der Beethovenpark, der für Wellershoff zum Refugium wurde und ihm Möglichkeiten für ausgedehnte Spaziergänge bot. Der überwiegend naturbelassene Landschaftspark wurde 1927 auf dem Gelände einer ehemaligen Kiesgrube nach den Plänen des Gartendirektors Fritz Encke (1861–1931) und seines Nachfolgers Theodor Nußbaum (1885–1956) angelegt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Park als Abraumhalde für Kriegstrümmer genutzt, weshalb er für Kölner Verhältnisse recht hügelig ist. Typisch für die Grünanlage sind die von einzelnen Bäumen und waldartigen Arealen gerahmten weiten Wiesenflächen, durchzogen von nicht asphaltierten Wegen. In seinem Buch Pan und Engel (1990) nahm Wellershoff das 1976 entstandene einfühlsame Portrait des Beethovenparks wieder auf. Stimmungsvolle Landschafts- und Naturschilderungen kennzeichnen diese Textminiatur:
»Wenn das Licht in die gelblicheren Tönungen des Abends übergeht, vertiefen sich die Farben des Parks, werden seine Formen weicher, und die Spaziergänger auf den weiten grünen Flächen bewegen sich langsamer, als würden sie eingebunden in einen Dunst, der weniger durchlässig ist als das weiße Licht des Tages, und selbst die Bälle der fernen Ballspieler fliegen wie gebremst durch die Luft.«
GE
Gabriele Ewenz, Dr. phil., Literaturwissenschaftlerin, Leiterin des Heinrich-Böll-Archiv und des Literatur-in-Köln Archiv (LiK)
Literatur
Siehe: Wellershoff: Die Arbeit des Lebens, S. 229; Pan, S. 272.