Belvederestraße

Von Juli 1954 bis 1969 wohnten Annemarie und Heinrich Böll, die Kinder Raimund, René, Vincent sowie der Vater Viktor und die Schwester Mechthild Böll in einem neuerrichteten Haus in der Belvederestraße 35 im Stadtteil Müngersdorf.
Erste Pläne für einen Hausbau entstanden bereits im Dezember 1952, da die Wohnverhältnisse in der seit 1946 bewohnten Schillerstraße für die Familie zu beengt geworden waren. Im Sommer 1953 wurde mit dem Bau des neuen Domizils in Köln-Müngersdorf begonnen. Das Gebäude hob sich nicht nur mit dem unverputzten Mauerwerk von den Nachbarhäusern ab, sondern auch durch seine Architektur mit der Verwendung eines Pultdaches. Durch den Hausbau entstand eine angespannte Finanzlage und Böll versuchte das Budget durch Lesungen und Tagungen aufzubessern. Für den Zeitraum vom September 1954 bis zum Dezember 1955 bestritt er mehr als 51 Lesungen. Zwischen den vielen Reisen fand er in dem Haus dennoch nicht die Ruhe für komplexere Arbeiten, etwa die Romanprojekte. Für diese Arbeitsphasen mietete er sich zunächst Wohnungen in der Innenstadt oder in anderen Stadtteilen, etwa in Lövenich. Anfang der 1960er Jahre baute er in seinem Garten eine Holzlaube, vielmehr ein Arbeitszimmer, in das er sich für die Arbeit zurückziehen konnte. In einem Rundfunkbeitrag mit dem Titel Stichwort äußert sich Böll 1964 recht ausführlich zu seiner Müngersdorfer »Örtlichkeit«:
»Der Vorort, in dem wir wohnen, ist immer noch Dorf. Kaum fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, erhält sich die Dörflichkeit aus geographischen Gründen. Jedenfalls im oberen Teil des Dorfes. […] Große Bauernhöfe, die schon lange nicht mehr als solche betrieben werden, alte Bäume, von denen einer – das sind Einzelheiten, wie die Kinder sie aus dem Heimatkundeunterricht mitbrachten –, von denen einer als die zweitgrößte Rotbuche Nordrhein-Westfalens bezeichnet wird: ein wahrhaft majestätischer Baum. Wir sehen ihn vom Fenster aus; er steht ungefähr an der Stelle, von der aus, wie die Dorflegende berichtet, Napoleon, als er hier einmarschierte, auf das ihm zu Füßen liegende Köln geblickt haben soll.«
Heinrich Böll: Stichwort: Örtlichkeit, 1964
1969 zogen Annemarie und Heinrich Böll und die drei Söhne wieder in die Innenstadt in die Nähe des Rheins:
»Fast fünfzehn Jahre lang wohnten wir zu weit von ihm entfernt, war der Rhein nur Ausflugsziel. In seiner permanenten, wer weiß wie alten Vergänglichkeit sagt er nichts, indem er für sich selbst spricht; er ist beruhigender als das Rasenmäherkonzert.«
Heinrich Böll: Hülchrather Straße, 1972

Besonders störend für Böll waren neben dem oft angeprangerten Autolärm, die ruhestörenden Geräusche von Rasenmähern, die für ihn Anlass genug boten, um aus der ländlichen Idylle zurück in die »Großstadtschluchten« zu ziehen: »[…] vielleicht zieht man nur um, um den mißlichen Zwang eines dauernd nach Pflege schreienden Rasens loszuwerden«.
2007 ließ der Bürgerverein Köln-Müngersdorf eine bronzene Gedenktafel anlässlich des 90. Geburtstages des Schriftstellers an der Mauer vor Bölls Haus in der Belvederestraße anbringen.
Markus Schäfer
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin
Literatur
Siehe: Böll: Hülchrather Straße, S. 77-78; Stichwort, S. 298.