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Die Hans-Mayer-Gesellschaft e.V.

Ein Gastbeitrag von Heinrich Bleicher

In Köln, der Geburtsstadt Ihres Namensgebers, hat die »Hans-Mayer-Gesellschaft« (HMG) ihren Sitz gefunden. Genauer gesagt, am Leipziger Platz in Nippes. Dies mag eine gewisse Reminiszenz an Mayers ersten Lehrstuhl als Literaturwissenschaftler an der Universität in Leipzig hervorrufen. Dort lehrte er von 1948 bis 1963. Eng befreundet mit anderen aus dem Exil zurückgekehrten Emigranten wie Ernst Bloch oder Widerstandskämpfern wie Werner Krauss und Walter Markov, die die Nazizeit überlebt hatten.

Der 1907 in Köln geborene Sohn einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie verbrachte seine Schulzeit am Schillergymnasium, das damals noch in Köln-Ehrenfeld beheimatet war. Anschließend studierte er von 1925-1929 in Köln – mit einer Unterbrechung durch ein Studienjahr in Berlin – Rechtswissenschaften und Geschichte. Bei dem jüdischen Professor Fritz Stier-Somlo promovierte er 1930 mit einer Arbeit über „Die Krisis der deutschen Staatslehre und die Staatsauffassung Rudolf Smends“. Kurze Zeit darauf erhielt der jüdische Marxist Hans Kelsen eine Professur für Völkerrecht und Rechtsphilosophie an der Kölner Universität. Er wurde einer der maßgeblichen Förderer des jungen Hans Mayer.

Als kritischer junger Student in der Weimarer Republik war dieser ein von Georg Lukács‘ Geschichte und Klassenbewusstsein geprägter Linker. Im Herbst 1927 begann er seine Mitarbeit in der »Vereinigung sozialistischer Studenten«. Anfang 1931 wurde er Mitherausgeber der Zeitschrift Roter Kämpfer und schloss sich nachdem er als SPD-Kandidat nicht förmlich aufgenommen wurde, der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) an, wechselte aber nicht lange danach zur Kommunistischen Partei Opposition (KP-O).

Das Studium der Rechtswissenschaften schloss er am 4. Juli 1933 in Berlin mit der zweiten großen Staatsprüfung ab. Im Nachhinein erscheint es makaber, dass die Urkunde vom damaligen Staatssekretär Roland Freisler, dem späteren Präsidenten von Hitlers »Volksgerichtshof«, unterzeichnet ist. Nach Köln konnte Mayer nicht zurückkehren. Die Nazis hatten seine Wohnung schon durchsucht. Er war als Gerichtsreferendar Teilnehmer an einem Prozess in Köln gewesen, bei dem der damalige Gauleiter der NSDAP und Herausgeber des Westfälischen Beobachters, Robert Ley, verurteilt worden war. Dessen Schlägertrupps hatten ihm danach in einer Sommernacht aufgelauert und ihn zusammengeschlagen. In sein Elternhaus ist er nicht mehr zurückgekehrt. Seine Eltern und weitere Verwandte sind 1941 zunächst nach Lodz (Litzmannstadt) dann nach Chelmo (Kulmhof) deportiert und dort ermordet worden. Für sie liegen Stolpersteine vor ihrem Haus in der Siemensstraße 60 in Köln-Ehrenfeld.

Mitglieder der KP-O verhalfen Mayer nach dem Abschluss seines zweiten Staatsexamens in Berlin zur Flucht über Belgien ins französische Exil. Von dort ging er später in das schweizerische Exil, wo er für Kelsen und Horkheimer arbeitete.

Berlin sah Mayer erst in seiner Leipziger Zeit und einige Jahre später, nach dem Weggang von dort – vertrieben durch die SED – in den 80er Jahren als Mitglied der Akademie der Künste wieder. Nach vielen Jahren in Tübingen – wo er sein umfangreiches schriftstellerisches Alterswerk verfasst hat, und dort auch starb – wurde Mayer 2001 auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin nicht weit von Hegel, Fichte, Brecht, Helene Weigel, Anna Seghers und anderen Schriftstellerinnen und Schriftstellern begraben.

(v.l.) Dr. Heiner Wittmann (Stellvertretender Vorsitzender), Heinrich Bleicher (Vorsitzender) u. Rudolf Zink (Kassierer)

In Berlin wurde am 10. Juni 2018 in der Bibliothek der Bildungs- und Begegnungsstätte der Gewerkschaft ver.di, die »Hans-Mayer-Gesellschaft« (HMG) gegründet. Der Gründungsvorstand, bestehend aus dem Vorsitzenden Heinrich Bleicher, dem stellvertretenden Vorsitzenden Dr. Heiner Wittmann und dem Kassierer Rudolf Zink wurde bei der Mitgliederversammlung Ende Dezember 2021 erneut einstimmig im Amt bestätigt

Das Ziel der HMG ist es, Mayers literarisches Vermächtnis zu bewahren und der Öffentlichkeit durch Publikationen und Veranstaltungen zugänglich zu machen. Am Werk Hans Mayers kann man lernen, wie Kunst und Literatur zum Verständnis der Subjekte und der Gesellschaft beitragen können. Ihm ging es darum,

Reflexionen sowohl über die Perioden der deutschen Literaturentwicklung wie über die Geschichte der deutsch-jüdischen Symbiose … mit meinem eigenen Unterfangen, das eigene Erleben als Erzähler zu fassen und dadurch zu tradieren.

Hans Mayer: Reisen nach Jerusalem. Frankfurt a.M. 1997, S. 97.

Für Nachforschungen und Recherchen ist Köln der maßgebliche Ort. Dem Historischen Archiv der Stadt Köln hat Hans Mayer 1985 seinen umfangreichen schriftstellerischen Nachlass überlassen. Desweiteren verfügt das Literatur-in-Köln-Archiv (LiK) der Stadtbibliothek Köln über eine umfangreiche Zeitungsausschnittsammlung sowie über die maßgebliche Primär- und Sekundärliteratur von und über Hans Mayer.

In den zurückliegenden drei Jahren hat die HMG – trotz Einschränkungen durch die Pandemie – mit mehreren Veranstaltungen über die Person und das Werk Hans Mayers informiert. Eine der größeren Veranstaltungen war Walter Benjamin aus Anlass seines 80. Todestages im Oktober 2020 gewidmet. Hans Mayer hat sich mit Benjamins Werk mehrfach auseinandergesetzt und zum 100. Geburtstag in der Leipziger Universität eine seiner berühmtesten Reden gehalten. Diese ist zugänglich über das Filmportal auf der Homepage der HMG, das in Kooperation mit »Zeitzeugen-TV« eingerichtet wurde.

Im Rahmen der Veranstaltungen zu »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« wurde in Kooperation mit dem »Literatur-in-Köln-Archiv (LiK)« eine Veranstaltung unter dem Titel Repräsentant und Außenseiter über den Schriftsteller Mayer durchgeführt. Hanjo Kesting, der zahlreiche Rundfunksendungen mit ihm gemacht hat, war dabei im Gespräch mit dem Vorsitzenden der HMG, Heinrich Bleicher, ein ausgezeichneter Gesprächspartner. Die Veranstaltung kann auf dem Youtube-Kanal der Stadtbibliothek Köln gesehen werden.

Auf den Seiten der »LiK.map« finden sich auch weitere Informationen zu Hans Mayer, u. a. ein Beitrag über dessen Geburtshaus im Belgischen Viertel und eine Ehrung anlässlich des 20. Todestages. 1980 erhielt Mayer den Literaturpreis der Stadt Köln, der später in Heinrich-Böll-Preis umbenannt wurde.

Im Laufe seines Lebens erhielt Mayer zahlreiche Ehrungen für sein Werk: Den Nationalpreis der DDR 1955; den Deutschen Kritiker-Preis 1966; die Ehrendoktorwürde der Universitäten Brüssel 1969, Wisconsin 1972, Leipzig 1992; sowie das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband 1987; die Medaille für Kunst und Wissenschaft, Hamburg 1987; den Ernst-Bloch-Preis 1988; das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst 1990; das Goldene Ehrenzeichen des Landes Wien 1992; den Officier dans l’Ordre des Arts et des Lettres 1993; sowie den Heinrich-Mann-Preis 1995.

Anfang 2022 erschien das von Heinrich Bleicher herausgegebene Buch Der unbequeme Aufklärer, das der im Dezember 2021 verstorbenen Literaturwissenschaftlerin Dr. Inge Jens, Ehrenmitglied der HMG, gewidmet wurde. In Gesprächen mit Personen, die Mayer noch persönlich gekannt haben, wird über diesen herausragenden Literatur- und Kulturwissenschaftler sowie Schriftsteller informiert. Neben Inge Jens und Pieke Biermann, der Preisträgerin des Übersetzerpreises der Leipziger Buchmesse 2020, zählen u. a. Christoph Hein, Professor em. Jost Hermand (†) und Professor em. Leo Kreutzer, Nachfolger von Hans Mayer auf dem Lehrstuhl in Hannover, zu den Gesprächspartnern des HMG-Vorsitzenden.

Dr. Inge Jens (1927-2021) mit Heinrich Bleicher © Foto: Heinrich Bleicher

Mit verschiedenen Veranstaltungen wird sich die Hans-Mayer-Gesellschaft auch 2022 zu Wort melden (u.a. mit der »Sartre-Gesellschaft Deutschland« und dem Talheimer-Verlag). Geplant ist auch eine Veröffentlichung zu Rundfunksendungen von Hans Mayer über Shakespeare.

Über alle Veranstaltungen und Initiativen der Hans-Mayer-Gesellschaft wird auf ihrer Homepage berichtet. Wer unmittelbar über die Aktivitäten informiert werden möchte, kann sich in den Verteiler des Infobriefes der HMG eintragen lassen.

Die Hans-Mayer-Gesellschaft ist auch Mitglied der »Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e.V.« (ALG) und arbeitet mit deren Mitgliedern wie z.B. der »Sartre-Gesellschaft Deutschland« sowie der »Internationalen Peter-Weiss-Gesellschaft« zusammen. Bei der Verleihung des Literaturpreises der Stadt Köln an Peter Weiss hat Hans Mayer 1981 die Laudatio gehalten.

– © Heinrich Bleicher, 2022
Vorsitzender der Hans-Mayer-Gesellschaft e.V.

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Hans Mayer dirigiert im Stadtgarten

Geburtshaus im Belgischen Viertel

Hans Mayer wurde am 19. März 1907 im »Belgischen Viertel«, einem bis heute beliebten und attraktiven Viertel der Stadt, geboren. Rings um den Brüsseler Platz, der mit der kath. Pfarrkirche St. Michael, das Zentrum des ›Belgischen Viertels‹ bildet, entstanden um die Wende zum 20. Jahrhundert repräsentative Wohnhäuser im Jugendstil. Der Kaufmann Rudolf Mayer und seine Ehefrau Ida, geb. Meyer-Wachmann, kamen nach ihrer Hochzeit von Neuss nach Köln und bezogen eine Wohnung im 1. Stock eines Wohnhauses in der Genter Str. 30. In unmittelbarer Nähe liegt der Stadtgarten, ein innerstädtischer Landschaftspark, der 1827/28 auf dem Gelände vor der Stadtmauer als Schmuckgarten mit einer angegliederten Baumschule angelegt wurde. Die Parkanlage war schon zu Mayers Zeit eine beliebte Freizeit- und Erholungsstätte für die Kölner Bevölkerung. In seinen Erinnerungen schrieb Mayer über seine musikalische Begabung und Früherziehung, die auch mit ersten Erlebnissen im Stadtgarten in Verbindung stehen.

»Wir wohnten damals in Köln noch in der gutbürgerlichen Neustadt, jenseits der Ringe, die an die Stelle der niedergelegten Stadtmauern getreten waren. Die Familie muß damals noch in meinem Geburtshaus (im Jugendstil) in der Genter Straße 30 gewohnt haben. Der Stadtgarten war ganz in der Nähe. Dort ging man dann am Samstag oder Sonntag hin: zu Kaffee und Kuchen oder einem »Kaffee mit Essen«, wie man das damals nannte. Als Essen waren Schwarzbrot und Rosinenbrot zu verstehen, mit Butter und Konfitüre. Im französischen Sinne also ein Café complet. Da saß man dann im Freien und lauschte der Musik. Die Musiker waren in einem schönen Pavillon untergebracht. Der übliche Pavillon sämtlicher Kurgärten im Deutschen Kaiserreich. Plötzlich war ich verlorengegangen, man stand auf, um mich zu suchen. Da stand ich allein vor dem Musikpavillon, wo gespielt wurde. Ich schaute starr nach oben, und ich dirigierte. Wie das zuging? Ich weiß es nicht. Ich dirigierte eben. Ein Ring von Leuten hatte sich gebildet, die mir lachend zuschauten. Ich wurde dann von der Mutter weggeschleppt. Sie war beschämt. So etwas! Allein, man hat viel später immer wieder diese Geschichte von mir erzählt. Ich selbst konnte mich an nichts erinnern.«

– GE

Literatur: Mayer: Gelebte Musik, S. 12

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20. Todestag von Hans Mayer

Ein Gastbeitrag von Heinrich Bleicher

Köln, Paris, Leipzig, Tübingen mit Zwischenstationen in der Schweiz in Hannover und Berlin, wo Hans Mayer auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in unmittelbarer Nachbarschaft zu Bertolt Brecht seine letzte Ruhestätte fand. Lebensstationen eines außergewöhnlichen Menschen.
Der Wissenschaftler, Kulturkritiker und Schriftsteller wurde am 19. März 1907 in Köln geboren, genauer gesagt in der Genter Straße 30, und starb am 19. Mai 2001 in Tübingen. Zu seiner Geburtsstadt hatte Mayer stets eine ambivalente Beziehung: »Ich sehe mich sicher als Kölner und der Rhein ist nach wie vor meine Landschaft« bekannte er sich und dennoch war Köln eine verlorengegangene Heimat. – Heinrich Bleicher, Vorsitzender der in Köln ansässigen Hans-Mayer-Gesellschaft, erinnert in seinem Beitrag Hans Mayer über Köln und sein Judentum aus gegebenem Anlass an Hans Mayer, den »Homme de lettres«, wie Walter Jens ihn einmal nannte.


Ankündigung:

»Hans Mayer: Repräsentant und Außenseiter – ein deutsch-jüdischer Schriftsteller aus Köln«

Online-Veranstaltung am 8. Juni 2021, 18 Uhr

Anmeldung unter: https://www.edudip.com/de/webinar/hans-mayer/1365140

Eine Veranstaltung des Literatur-in-Köln-Archiv (LiK) der Stadtbibliothek Köln in Kooperation mit der Hans-Mayer-Gesellschaft