Ich muß gestehen, ich versprach mir viel vom Kölner Dom; schon in meiner Jugend habe ich ihn mit Ehrfurcht nachgezeichnet, als ich mich mit Architektur befassen mußte. Auf meiner Rückreise aus Paris, das heißt einen Monat später, sah ich den Kölner Dom zum zweitenmal und wäre bereit gewesen, ihn ›auf den Knien um Verzeihung zu bitten‹, weil ich seiner Schönheit beim ersten Mal nicht gewahr wurde, genau wie Karamzín es in der gleichen Situation vor dem Rheinfall von Schaffhausen getan hatte. Nichtsdestoweniger gefiel mir der Dom beim ersten Mal ganz und gar nicht, ich glaubte, das seien alles nur Spitzen, Spitzen und nichts als Spitzen, Nippes, als Briefbeschwerer auf den Schreibtisch zu stellen, gut siebzig Faden hoch. ›Wenig Erhabenes‹, entschied ich, ganz wie in der alten Zeit unsere Großväter über Puschkin zu entscheiden pflegten: ›er schreibt gar zu leicht, es fehlt das Erhabene.‹ Ich vermute, daß mein erstes Urteil unter dem Einfluß dreier Umstände entstanden ist: der erste ist das Eau de Cologne. Johann Maria Farina befindet sich nämlich in nächster Nähe des Domes, und in welchem Hotel Sie auch absteigen, in welcher Stimmung Sie sich auch befinden, wie sehr Sie sich auch vor Ihren Feinden und vor Johann Maria Farina im besonderen verstecken möchten, seine Vertreter werden Sie doch auffinden, und da gilt: ›Eau de Cologne ou la vie!‹, — eins von beiden, eine andere Wahrheit gibt es nicht. Ich möchte zwar nicht behaupten, daß buchstäblich so gerufen wird: ›Eau de Cologne ou la vie!‹, aber wer weiß — vielleicht geschieht es doch. Ich entsinne mich jedenfalls, daß ich diese Worte zu hören glaubte.
Der zweite Umstand, der mich erboste und ungerecht machte, war die neue Kölner Brücke. Freilich ist die Brücke vorzüglich und die Stadt mit Recht stolz darauf, aber mir kam vor, daß sie schon gar zu stolz auf ihre Brücke war, und natürlich ärgerte ich mich sofort darüber. Zudem hätte der Steuereinnehmer am Brückenhäuschen diese durchaus vernünftige Brückensteuer doch wirklich nicht mit einer solchen Miene von mir zu erheben brauchen, als fordere er eine Strafe für irgendein von mir unwissentlich begangenes Verbrechen. Ich kann es nicht mit Sicherheit behaupten, aber ich glaubte, dieser Deutsche sei anmaßend. ›Sicher ist er dahintergekommen, daß ich Ausländer bin und zwar Russe‹, dachte ich, wenigstens schien mir sein Blick beinahe wortwörtlich zu sagen: ›Hier siehst du unsere Brücke, armseliger Russe, — so wisse denn, daß du ein Wurm bist angesichts dieser Brücke und angesichts eines jeden rechtschaffenen Deutschen, denn eine solche Brücke hast du nicht.‹ Sie müssen doch zugeben, daß das beleidigend ist. Natürlich hatte das der Deutsche gar nicht gesagt und hatte es vielleicht nicht einmal im Sinn, aber das ist ja ganz egal: damals war ich so fest überzeugt, daß er gerade das sagen wollte, so daß ich endgültig aufbrauste, ›hol’s der Teufel‹, dachte ich, wir haben schließlich, den Samowar erfunden … wir haben Zeitschriften … bei uns werden Offiziersausstattungen angefertigt … bei uns … ‹.
Kurz, ich wurde wütend, und nachdem ich mir eine Flasche Eau de Cologne gekauft hatte, vor der ich mich gar nicht mehr retten konnte, reiste ich unverzüglich ab nach Paris in der Hoffnung, daß die Franzosen weit liebenswürdiger und unterhaltsamer sein würden. Urteilen Sie jetzt selbst: hätte ich mich überwunden, wäre ich in Berlin nicht nur einen Tag, sondern eine Woche geblieben, in Dresden desgleichen, hätte ich Köln drei oder auch nur zwei Tage gewidmet, dann hätte ich dieselben Dinge ein zweites, ein drittes Mal mit anderen Augen gesehen und wäre schließlich zu einer angemesseneren Vorstellung gekommen. Sogar ein Sonnenstrahl, irgendein ganz gewöhnlicher Sonnenstrahl hätte dabei viel ausgemacht: hätte er über dem Dom geleuchtet, wie er bei meinem zweiten Aufenthalt in der Stadt Köln geleuchtet hat, dann wäre mir der Dom wahrscheinlich im richtigen Licht erschienen und nicht wie an jenem trüben und noch dazu regnerischen Morgen, der in mir nur eine Aufwallung gekränkter Vaterlandsliebe auslöste. Womit übrigens nicht gesagt sein soll, daß Vaterlandsliebe sich nur bei schlechtem Wetter einstellt. Also Sie sehen, meine Freunde: in zwei und einem halben Monat kann man nicht alles genau betrachten, und ich bin durchaus nicht in der Lage, Ihnen zuverlässige Informationen zu vermitteln.
Literatur: Fjodor M. Dostojewski: Winterliche Aufzeichnungen über sommerliche Eindrücke. Aufzeichnungen aus dem Kellerloch. Aus dem Tagebuch eines Schriftstellers. Reinbek bei Hamburg 1962, S. 7-58, hier S. 9f.