
Der russische Schriftsteller Fjodor M. Dostojewski (1821–1881) begab sich im Sommer 1862 auf seine erste Reise nach Westeuropa. In wenigen Wochen besuchte er Deutschland, Frankreich, England, die Schweiz und Italien, ein strammes Programm, das kaum Zeit für längere Aufenthalte und Besichtigungen vorsah. Am 26. Juni reiste er von Berlin kommend, nach Köln, um den Dom zu besichtigen, den er bereits während seines Studiums an der angesehenen Militärischen ingenieurtechnischen Universität in St. Petersburg »mit Ehrfurcht« nachzeichnete. Seine zweite Ehefrau Anna Grigorjewna (1846–1918) berichtete, Dostojewski habe auf seinen Reisen viele Stunden vor dem Kölner Dom und anderen Denkmälern der Gotik in wahrer seelischer Verzückung gestanden. Doch der erste Anblick war für ihn enttäuschend, wie man aus seinem Reiseessay Winterliche Aufzeichnungen über sommerliche Eindrücke entnehmen kann: »[…] ich glaubte, das seien alles nur Spitzen, Spitzen und nichts als Spitzen, Nippes, als Briefbeschwerer auf den Schreibtisch zu stellen, gut siebzig Faden hoch. ›Wenig Erhabenes‹, entschied ich.«
Ende Juli erfolgte die Rückreise nach St. Petersburg wieder über Köln, dieses Mal wollte er Abbitte leisten, weil er die ganze Schönheit des Bauwerkes beim ersten Anblick »nicht begriffen hatte.« Er führte diesen Umstand auf ein Ärgernis zurück, das unmittelbar mit der neuen Rheinbrücke in Verbindung stand, denn hier traf er auf einen Beamten, der von ihm die Brückensteuer verlangte. Vielleicht war es weniger die Maut, die den Autor in Harnisch brachte, als vielmehr die Art und Weise, wie er, zumindest in seiner Vorstellung, zur Kasse gebeten wurde:
»[…] ich glaubte, dieser Deutsche sei anmaßend. ›Sicher ist er dahintergekommen, daß ich Ausländer bin und zwar Russe‹, dachte ich, wenigstens schien mir sein Blick beinahe wortwörtlich zu sagen: ›Hier siehst du unsere Brücke, armseliger Russe, — so wisse denn, daß du ein Wurm bist angesichts dieser Brücke und angesichts eines jeden rechtschaffenen Deutschen, denn eine solche Brücke hast du nicht‹.«.
Am 4.1.1866 hielt sich Dostojewski erneut in Köln auf, Aufzeichnungen über diesen Aufenthalt liegen jedoch nicht vor.

Ab 1855 begann man in Köln mit dem Bau einer kombinierten Straßen- und Eisenbahnbrücke, die im Oktober 1859 in Anwesenheit des preußischen Prinzregenten Wilhelm I. feierlich eröffnet wurde. Die Dombrücke war die erste feste Brücke von Köln nach Deutz seit der Römerzeit. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in Köln nur Schiffs- oder Pontonbrücken. Bahnreisende, die von Osten nach Westen reisten, mussten demzufolge am Bahnhof Pantaleon aussteigen, mit der Fähre auf die andere Rheinseite gelangen, um dann vom Bahnhof Deutz die Fahrt fortzusetzen. Ähnliche Schwierigkeiten musste auch der Güterverkehr bewältigen. Nur zwei Monate nach der Brückeneröffnung konnte auch der neue Central-Personenbahnhof der Öffentlichkeit übergeben werden.
Auf Grund ihrer engmaschigen Gitterkonstruktion wurde die neue Rheinbrücke im Volksmund ›Mausefalle‹ genannt, zudem konnte man sie an beiden Enden mit schweren Eisentoren verschließen, was den Eindruck von einer Falle unterstützte. Durch den stetig wachsenden Bahnverkehr geriet man bereits 50 Jahre später an die Grenzen der Belastbarkeit, so dass an gleicher Stelle die heutige Hohenzollernbrücke gebaut und 1911 eröffnet wurde. Das von Dostojewski erwähnte Brückengeld wurde übrigens nicht von der Stadt Köln eingenommen, sondern von der Bauherrin der Brücke, der Köln-Mindener-Eisenbahngesellschaft.
– GE
Literatur:
- Fjodor M. Dostojewski: Winterliche Aufzeichnungen über sommerliche Eindrücke. Aufzeichnungen aus dem Kellerloch. Aus dem Tagebuch eines Schriftstellers. Reinbek bei Hamburg 1962, S. 7-58, hier S. 9f.
- Der unbekannte Dostojewski. Bd. 1. Von René Fülöp-Miller, Friedrich Eckstein, Vera Mitrofanov Demelic̆. München 1926, S. 11.