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Joachim Rönneper: »Nach Corona ist vor Corona«

Parkbank auf dem Baudriplatz © Joachim Rönneper

Heute Nachmittag ging ich wieder, wie so häufig zum Baudriplatz in Köln Nippes, setzte mich auf die grüne Bank, es steht nur eine dort, trank einen Kaffee aus einem Becher, Mineralwasser, rauchte und aß etwas Süßes. Ich beobachtete ein Insekt, das vor mir auf dem Steinboden zwischen Unkraut und Ritzen umher krabbelte: eine »gemeine Feuerwanze« (Pyrrhocoris apterus). Sie fällt durch ihre markante Färbung und Zeichnung aus: »Der Kopf und die Fühler sind schwarz gefärbt. Der Halsschild ist am Rand rot, in der Mitte trägt er einen annähernd rechteckigen, schwarzen Fleck, der oft in einen größeren vorderen und zwei kleinere hintere Teilflecke aufgelöst ist.« (wikipedia). In einem Anflug von Neid sah ich die »gemeine Feuerwanze«, die weder Impfstoff noch Kontaktsperre kennt. Das Datum von heute kreuzte ich später in meinen Kalender für das Jahr 2021 rot an. Dann werde ich mich in einem Jahr mit Kaffee, Mineralwasser und Süßem auf die besagte Bank setzen und mich fragen wollen, was ich von der Corona-Zeit, sollte sie überhaupt vorüber sein, im Gedächtnis behalten habe.


Kürzlich lag auf meiner »Corona-Bank« ein Stadtplan für Paris: ein gemeines Geschenk zum Mitnehmen angesichts aktueller Reiseverbote. Ich faltete den Plan auseinander und sah auf Anhieb die Champs-Élysées, die Prachtstraße mit ihren Bars und Cafes, alle geschlossen. Bon jour Tristesse. Die Pandemie ist ein Straßenfeger. Kein Flaneur, kein Liebespaar in der Weltstadt der Liebe unterwegs, verklungene Chansons. Das pralle Leben steht still, totenstill. Nichts geht mehr rien ne va plus. Von der Einmaligkeit und Unwiederbringlichkeit des Lebens erzählt Charlotte Grasnick in ihrem Gedicht Kaffee schwarz lyrisch. Ein alltäglicher Vorgang und Genuss in Gestalt einer Tasse Kaffee symbolisiert akzeptiertes Werden, Sein und Vergehen in Einmütigkeit. Eine vielleicht henkellose Tasse mit schwarzem Kaffee vergleicht sie mit einem Auge aller Menschen: schwarze Pupille – die Sklera weiß. Der Bodensatz, ein Sinnbild unergründlichen Sinns, bleibt verborgen. Alles kühlt im weiteren Lebensverlauf ab. Es gibt kein Aufwärmen, keine Wiederholung. Was war, war – jenseits von Fatalismus und Schicksalsgläubigkeit und sie, die Dichterin, trinkt ihren Kaffee schwarz, wie es überall alltäglich vorkommt, sie trinkt ihn, die Tasse aus: ein anregendes und tröstliches Gedicht. Ich faltete den Stadtplan wieder zusammen, ging und ließ den Stadtplan liegen für einen, der da kommen wird – Paris.


Literatur: Rönneper: Corona, S. 54, 133ff. Siehe auch: Kölner Denkmal im Lockdown
Für die Abdruckgenehmigung der Texte danken wir dem Autor.