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»Weh dem, der den edlen Fürsten von Köln erschlug!«

Walther von der Vogelweide preist Erzbischof Engelbert I.

Ein Gastbeitrag von Martin Oehlen
»Herr Walther von der Vogelweide«. In: Codex Manesse, UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, fol. 124r

Nichts gegen Latein. Aber welches ist die älteste literarische Erwähnung Kölns in deutscher Sprache? Zum Kreis der Favoriten zählen die mittelhochdeutschen Verse von Walther von der Vogelweide (um 1170 – um 1230) auf den Kölner Erzbischof Engelbert I. (um 1185 – 1225). Wenig weiß man über den herausragenden Dichter. Weder sein Geburtsort ist gesichert noch seine letzte Ruhestätte. Es ist von ihm nur ein einziges zeitgenössisches Dokument überliefert, demzufolge er vom Passauer Bischof Wolfger von Erla einen Pelzmantel erhalten hat. Für den 12. November 1203 ist im Rechnungsbuch des Bischofs vermerkt: »Walthero cantori de Vogelweide pro pellicio V. sol. Longos« (für den Sänger Walther von der Vogelweide fünf »solidi longos«, was in der Forschung zuweilen mit »fünf Schillinge« übersetzt wird).

Vieles mehr wird nicht aus historischen Quellen, sondern aus Walthers Werk erschlossen. Aus dem Minnesang, den er fulminant aufmischte, und aus der sogenannten Sangspruchdichtung, mit der er sich in die politischen Verhältnisse einmischte – schimpfend, schmeichelnd, ironisch, keck und kunstvoll. Selbstverständlich sind solche biografischen Rückschlüsse aus der Dichtung riskant. Allerdings kann aus den Texten mit Gewissheit geschlossen werden, dass Walther als fahrender Sänger bestrebt war, Gönner zu gewinnen. Sei es als längerfristiges Engagement oder als einmalige Unterstützung. So lobt er den Geiz des einen und die Großzügigkeit des anderen. Er wendet sich in seiner Lyrik an Fürsten, Könige und Kaiser – und an Erzbischof Engelbert I. von Köln.

Aus der Familie der Grafen von Berg stammend, zählte Engelbert zu den mächtigsten Personen im Reich. Als Kölner Erzbischof wurde er im Jahre 1220 von Kaiser Friedrich II. zum Reichsverweser ernannt. Auch war er Vormund des kaiserlichen Sohnes Heinrich, den er 1222 in Aachen zum König krönte. Walther von der Vogelweide rief diesem Engelbert in den Sprüchen seines sogenannten Kaiser Friedrichston zu:

»Von Kölne werder bischof, sît von schulden frô!

ir hât dem rîche wol gedienet, und alsô

daz iuwer lop da enzweschen stîget unde sweibet hô.

sî iuwer werdekeit dekeinen bœsen zagen swære

fürsten meister, daz sî iu als ein unnütze drô.

getriuwer küneges pflegære, ir sît hôher mære,

keisers êren trôst baz danne ie kanzelære,

drîer künege und einlif tûsent megde kamerære.«

(»Edler Bischof von Köln, Ihr dürft Euch freuen! Ihr habt dem Kaiser und dem Reiche so gut gedient, dass Euer Ruhm nun immer steigt und höher schwebt. Wenn, Herr der Fürsten, Euer hohes Amt dem gemeinen Feigling lästig ist und er Euch droht, beachtet seine leere Drohung nicht. Treuer Königsvormund, Ihr seid berühmt und wahrt des Kaisers Ansehen besser als es je ein Kanzler tat – Kämmerer von elftausend Jungfrauen und drei Königen.« Übersetzung zitiert nach Joerg Schaefer.)

Walther verweist in seiner Lobeshymne bemerkenswerterweise auf Drohungen gegen den Erzbischof. Unumstritten war Engelbert weder in der Metropole noch im riesigen Erzbistum. Ein Konflikt um Vogteirechte des Essener Damenstiftes, so stellen es Hugo Stehkämper und Carl Dietmar in dem Band Köln im Hochmittelalter dar, führte zu Engelberts Ermordung am 7. November 1225. Auf der Rückreise nach Köln wurde er bei Gevelsberg überfallen. Eine moderne gerichtsmedizinische Untersuchung der überlieferten Gebeine, die 1978 stattgefunden hat, führt Dutzende Verletzungen der Knochen auf. Als einer der Initiatoren des Anschlags gilt Friedrich von Isenberg, ein Neffe zweiten Grades, wenngleich unklar ist, ob er nicht nur eine Gefangennahme geplant hatte.

Detailansicht des Engelbertschreins in der Domschatzkammer in Köln. Dargestellt ist Erzbischoff Engelbert
Köln, Domschatzkammer, Engelbertschrein, Deckel, Detailansicht: Erzbischof Engelbert © Hohe Domkirche Köln, Dombauhütte; Foto: Matz und Schenk

Die Nachricht vom Tod des Erzbischofs erreichte auch Walther von der Vogelweide. Er schrieb in seinem zweiten Engelbertspruch im Rahmen des Kaiser Friedrichtons:

»Swes leben ich lobe, des tôt den wil ich iemer klagen.

sô wê im der den werden fürsten habe erslagen

von Kölne! owê des daz in diu erde mac getragen!

Ine kan im nâch sîner schulde keine marter vinden:

im wære alze senfte ein eichîn wit umb sînen kragen.

In wil sîn ouch niht brennen noch zerliden noch schinden

noch mit dem rade zerbrechen noch ouch dar ûf binden,

ich warte allez ob diu helle in lebende welle slinden.«

(»Ich preise sein Leben, und immer klage ich um seinen Tod. Weh dem, der den edlen Fürsten von Köln erschlug! O dass ihn die Erde noch tragen will! Ich weiß keine Marter groß genug für seine Schuld. Ein Eichenstrang um seinen Hals wäre ihm zu sanft. Ich will ihn nicht verbrennen noch ihn zerstückeln noch ihm die Haare abziehen, auch ihn nicht mit dem Rad zermalmen noch aufs Rad ihn flechten; ich warte nur jeden Tag, ob ihn nicht die Hölle lebendig verschlingt.« Übersetzung zitiert nach: Joerg Schaefer)

Walthers speziellem Wunsch, den Täter nicht aufs Rad zu flechten, entsprach Engelberts Nachfolger Heinrich von Müllenark allerdings nicht. Am 13. November 1226 wurde Friedrich von Isenberg vor dem Severinstor in Köln gerädert.

Engelberts Nachruhm entwickelte sich schnell. Dazu trug die Biografie des Zisterziensermönchs Caesarius von Heisterbach bei: Vita, passio et miracula beati Engelberti Coloniensis archiepiscopi (»Leben, Leiden und Wunder des heiligen Engelbert, des Erzbischofs von Köln«). Bald schon wurde der Erzbischof als Märtyrer und wunderwirkender Heiliger verehrt, wenngleich er nie offiziell kanonisiert worden ist. Die Gebeine ruhten zunächst in einem umgitterten Steingrab im Alten Dom in Köln. Seit 1633 befinden sie sich in einem barocken, vom Goldschmied Conradt Duisbergh nach Entwürfen von Jeremias Geisselbrunn und Augustin Braun gefertigten Silbersarkophag, der heute in der Schatzkammer des Kölner Doms steht. Weitere Reliquien des ermordeten Erzbischofs werden unter anderem im Altenberger Dom, in Essen, Wien und Gevelsberg aufbewahrt.

Ob Walther – der vor allem in Wien, in Südtirol und im Süddeutschen verortet wird – jemals in Köln gewesen ist, steht dahin. Zwar behauptet das lyrische Ich eines seiner Lieder, es sei »von der Elbe unz an den Rîn / und her wider unz an Ungerland« unterwegs gewesen, also von der Elbe bis an den Rhein und dann zurück nach Ungarn. Doch zum einen ist dies eben doch ein Ich, das nicht zwingend mit dem Autor gleichzusetzen ist. Und zweitens ist der Rhein ein langer Fluss mit vielen Verweilmöglichkeiten.

– © Martin Oehlen, 2021

Martin Oehlen

geb. 1955 in Kaldenkirchen, kam 1980 nach seinem Studium zum Kölner Stadt-Anzeiger. 1989 wurde er stellvertretender Leiter der Kulturredaktion; gemeinsam mit Reiner Hartmann übernahm Oehlen 1994 die Leitung des Ressorts Kultur; ab 2001 war er alleiniger Ressortleiter. Besonders verdienstvoll war sein Engagement für die Aktionen »Kultursonntag«, »Ein Buch für die Stadt« und für das monatliche »Büchermagazin« des Kölner Stadt-Anzeiger. Als Autor und Rezensent arbeitet er auch nach seiner Pensionierung (2019) für den Kölner Stadt-Anzeiger; gemeinsam mit Petra Pluwatsch betreibt Oehlen den Literaturblog Bücheratlas.

Literatur
  • Joerg Schaefer (Hrsg.): Walther von der Vogelweide – Werke. Darmstadt 1972.
  • Gerhard Hahn: Walther von der Vogelweide. München und Zürich 1986.
  • Leonie Becks und Rolf Lauer: Die Schatzkammer des Kölner Domes. Köln 2000.
  • Anton Legner: Kölner Heilige und Heiligtümer. Köln 2003.
  • Hugo Stehkämper und Carl Dietmar: Köln Im Hochmittelalter. Köln 2016.