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Wohnort von Anne Dorn

Weißenburgstraße

Anne Dorn kam 1969 nach der Trennung von ihrem zweiten Ehemann mit vier Kindern von Kleve nach Köln. Zuerst wohnte sie am Fröbelplatz 9. Ins Agnesviertel, Weißenburgstraße 19, zog die Familie dann 1972. Dorn wohnte hier bis zu ihrem Tod im Jahr 2017. Ihre erste Erzählung Die Familie erschien 1967 in der von Dieter Wellershoff herausgegebenen Anthologie Wochenende. Sechs Autoren variieren ein Thema. Die Anfänge in Köln waren für die angehende Autorin und alleinerziehende Mutter nicht einfach.

Als ich nach Köln kam, hatte ich hier weder Freunde noch Bekannte. Auch meine Arbeit als ›freie‹ Schriftstellerin bedeutete eher, daß ich vogelfrei und allein war, als daß ich ein ›freies Leben‹ hätte führen können.

Anne Dorn

Dorn schlug sich mit Jobs beim Hörfunk durch, verfasste gesellschaftskritische Features, es entstanden die ersten Autorenfilme für den WDR, in denen sie auch Regie führte. Dorn eroberte sich die Stadt, knüpft Kontakte und versucht heimisch zu werden. »Zunächst habe ich das getan, was nur ein Fremder in Köln tut, ich habe mir Köln angeschaut.« Auch wenn Köln nie ihre sächsische Heimat ersetzen konnte, so fand sie am Rhein doch ein neues Zuhause. Sie war befreundet mit Heinrich Böll, der sie auch finanziell unterstützte, mit Dorothee Sölle und Lew Kopelew.
In Dorns Gedichten und Prosatexten finden sich immer wieder Bezüge zu ihrer Wohnung in der Weißenburgstraße und zum Agnesviertel. Der Autorenfilm Eines Tages brachte ich meinen Sohn zum reden wurde 1973 teilweise ihrer Wohnung gedreht. 1974 erschien Gedanken zur Grosstadt, ein kurzer stimmungsvoller Text über Köln, ferner schrieb sie über die Romanischen Kirchen St. Gereon und St. Andreas.

GE

Gabriele Ewenz, Dr. phil., Literaturwissenschaftlerin, Leiterin des Heinrich-Böll-Archiv und des Literatur-in-Köln Archiv (LiK)

Literatur

Siehe: Dorn: Autobiographischer Text

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Wohnort von Vilma Sturm

Merlostraße

Vilma Sturm in ihrem Arbeitszimmer in der Merlostraße © LiK-Archiv

Vilma Sturm beschrieb in dem Erinnerungsband Barfuß auf Asphalt ihren Wohnortwechsel von Königsstein i. T. nach Köln. 1954 erhielt sie eine Anfrage von Pater Rainulf Schmücker, Chefredakteur und Leiter des 1953 in Köln gegründeten »Katholischen Rundfunk-Instituts« (ab 1973 »Katholisches Institut für Medieninformation«). Er bat sie um Mitarbeit an der Redaktion der »FUNK-Korrespondenz«, ferner bot er ihr die Möglichkeit, Hörspiele und Features mit religiösen Inhalten und Morgenandachten für den Kirchenfunk zu schreiben. Rückblickend schrieb Sturm, dass die Hörspiele Gelegenheitsarbeiten waren, »Lückenbüßer, vielfach dramatisierte religiöse Erzählungen und Romane, nicht der Rede wert. Eher die Morgenandachten; sie brachten mir so viel Hörerpost ein, wie ich sie auch nach den erfolgreichsten Zeitungsbeiträgen nicht bekommen habe. Ich hatte keinen Augenblick die Vorstellung gehabt, die Arbeit im Institut würde mir angenehm sein. Sie bedeutete: in der Stadt wohnen, täglichen Dienst im Büro, Beschäftigung mit einem Stoff, der mich kaum interessierte, der mir fremd war, gegen den ich Widerstand spürte. Aber die Aussicht auf ein normales, festes, mich aller Existenzsorgen enthebendes Gehalt war verführerisch.«
Schmücker besorgte ihr nicht nur eine Stelle, die den Lebensunterhalt der alleinerziehenden Mutter einer Tochter sicherte, sondern auch noch eine Wohnung im Agnesviertel, Merlostraße 22, in der Sturm dann 30 Jahre lang lebte.

Diese so bescheidene Wohnung in Köln, zwei Zimmer, Küche, Diele, Bad, ohne Garten, ohne Balkon, mit Ofenheizung, erfüllte langgehegte Wünsche. Nach zehn Jahren wieder ein Badezimmer! Ich badete unablässig, unablässig durchmaß ich die Räume und konnte es nicht fassen, daß ich darüber die Herrin sein sollte. Mächtige Lindenbäume standen vor dem Fenster und schickten grünes Licht in das Wohnzimmer. Heute sind ihre Reihen gelichtet, früh werfen sie ihr Laub ab, stehen im September schon kahl, krank, leidend, ihre Todesstunde ist nahe. . .
Die Wohnung wurde mit dem Vorhandenen eingerichtet, das Schlafzimmer mit diesen kastenartigen Möbeln aus Rüsterholz, die jetzt niemand mehr leiden mag; der Wohnraum mit den alten Bücherregalen aus dem Elternhaus, Couch, Sesselchen und Nierentisch. Nur wenig habe ich im Lauf der nächsten fünfundzwanzig Jähre dazugekauft, nur weniges ausgewechselt – zuerst natürlich den Nierentisch -, einige alte Stücke geerbt. Es ist peinlich alles vermieden, was aufs Prächtige hinzielen könnte. Wertvoll sind, außer der Truhe, dem Glasschrank und dem Hausaltar, nur die Bilder: die expressionistische Graphik, die ich vom Vater bekam, ein schönes Blatt von Otto Mueller, außerdem Heckel, Kirchner, Schmitt-Rottluff und Nauen, dazu ein Grieshaber, den Heinrich Böll mir zum Geschenk machte. Die Wohnung hatte von Anfang an etwas Karges und Strenges – ich hatte leere Wände gern.

Vilma Sturm, Barfuß auf Asphalt

Vilma Sturm bereute den Umzug nach Köln in keiner Weise, im Gegenteil, hier bekam sie Kontakt zu verschiedenen politischen Gruppierungen und stellte sich, nach eigenem Bekunden, den Herausforderungen der Zeit: Sie schrieb und demonstrierte gegen den Vietnamkrieg, setzte sich für Fürsorgezöglinge, Obdachlose und Haftentlassene ein und gehörte zu den Mitbegründern des »Politischen Nachtgebets«. Wichtig waren für Sturm vor allem die persönlichen Begegnungen und die daraus entstandenen Freundschaften mit politischen Weggefährten, zu denen u.a. Dorothee Sölle und Heinrich Böll zählten.

GE

Gabriele Ewenz, Dr. phil., Literaturwissenschaftlerin, Leiterin des Heinrich-Böll-Archiv und des Literatur-in-Köln Archiv (LiK)

Literatur

Siehe: Sturm: Barfuß.

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Bahnhof Ehrenfeld

John Iven u. Ron Voigt: Günter Wallraff, Graffiti, Köln 2018 © Foto: LiK-Archiv

Die Graffitikünstler John Iven und Ron Voigt, die bereits im Ehrenfelder Bahnhofsumfeld und an anderen Orten in der Stadt Streetart-Projekte verwirklichen konnten, haben im Auftrag der Deutschen Bahn AG zwei Zugangstunnel zu den Bahnsteigen neu gestaltet. Die Graffitis der Wände und Decken sind dem Inneren einer alten Fabrik nachempfunden, eine Reminiszenz an die Ehrenfelder Industriegeschichte mit ihren Walzwerken, Farbenfabriken und den Leuchtmittel-Produktionsstätten von »Helios«. Auf den Seitenwänden der Bahnhofszugänge thronen Portraits der Ehrenfelder Lokalgrößen Rolly Brings und Günter Wallraff, die beide eng mit dem Stadtteil verbunden sind. Ein Zitat aus dem Ehrenfeld-Lied von Brings sowie Wallraffs Kernaussage »Öffentlichkeit ist der Sauerstoff der Demokratie« zieren ebenso die Wandflächen.

Ihrefeld, du rusjeputz Madamm.

Ahl Mädche, wat es an dir nor dran?

Du rüchs noh Bier un Auspuff, noh Fritte un Kebab:

 Ihrefeld, du häs mi Hätz jeschnapp.

Rolly Brings

Für Brings ist Ehrenfeld die Heimat seiner Kindheit, hier lebte er bis in die 1970er Jahre. In den Kriegstrümmern von St. Anna hat er gespielt und im Kino am Lenauplatz, das 1960 in einen Supermarkt umgewandelt wurde, die ersten Abenteuerfilme gesehen.

John Iven u. Ron Voigt: Rolly Brings, Graffiti, Köln 2018 © Foto: LiK-Archiv

Auch Günter Wallraff ist ein bekennender Ehrenfelder, seit 1967 lebt der Journalist im Haus seiner Großeltern, unweit der Zentralmoschee. Gebaut wurde das Haus 1875, heute steht es unter Denkmalschutz. Hier bot Wallraff u. a. Wolf Biermann nach seiner Ausbürgerung aus der DDR und dem britischen Schriftstellerkollegen Salman Rushdie nach der Todesdrohung der iranischen Fatwa Zuflucht an.

GE

Gabriele Ewenz, Dr. phil., Literaturwissenschaftlerin, Leiterin des Heinrich-Böll-Archiv und des Literatur-in-Köln Archiv (LiK)

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Texte und Medien

Erasmus Schöfer: Vogeltheater in der Südstadt

Der Rhein ist sehr flach gefallen. Durch das grüne Bogenskelett der Südbrücke sehe ich vor den Poller Wiesen das nackte, steinige Ufer mit den braungrauen Basaltbuhnen. Wenn ich scharf hinschaue, erkenne ich die Bewegung des Quecksilberstroms, den kein Motorschiff belebt. Auf der Rheinuferstraße kaum mal ein Auto — das sonst ständig hörbare Rauschen der tausend Reifen ist verstummt, und keiner der täglich mehrmals zwischen Bonn und Düsseldorf dem Strom folgenden Hubschrauber zerhackt mir die Stille. Selbst das alles übertönende Dröhnen der Züge auf der eisernen Brücke bleibt aus, als ob auch die Bundesbahn meinen Sonntagmorgen heiligen wollte.

Von einem meiner späten winterlichen Sonnenaufgänge, drüben, hinter dem Poller Hochhaus, die mir oft die trüben Jahreszeiten so königlich vergolden, kann ich heute nicht berichten, noch die unfaßlich vielgestaltigen, bewegten Himmelslandschaften im Bilderrahmen meines Fensters skizzieren, denn eine amorphe, grauweiße Wolkendecke verhängt die Szene. Vor der ragt, kahl und zergliedert, die reglose Silhouette der großen Platane auf — weit hinaus über die Höhe meiner Wohnung im fünften Stock. In ihrer Krone hüpfen flatternd die beiden eng verheirateten Elstern herum, zanken sich mit einer Krähe, bis sie sich entschließen, den Streit zu beenden, direkt auf mein Fenster zufliegen, mit ihrem seltsam unregelmäßigen Flügelschlag, und erst unmittelbar vor der Hauswand, ihre Geschwindigkeit nutzend, den langen Schwanz und die Flügel ausgebreitet, hochziehen auf die Fernsehantenne. Ich höre ihr aufgeregtes Keckem durch das geschlossene Fenster.

Ein paar Dutzend Stare, unverkennbar durch ihre spitzen Dreiecksflügel, sind eben flattrig in einen Seitenast der Platane eingefallen, hocken jetzt dort wie schwarze Winterfrüchte. Nicht wegzudenken aus meinem Fensterbild auch die graubunten Haustauben, in Schwärmen, einzeln, zu Paaren. Sie scheinen ständig in irgendwelchen Geschäften unterwegs, und sei es nur dem, mir ihre Flugkünste, die vielfältigen Formen ihrer Flügelbewegungen zu zeigen, die viel zahlreicher sind, als es die gedruckten und gemalten Friedenstauben ahnen lassen.

Übertroffen werden sie nur von den Mauerseglern, deren hektische Lufttänze ich mal hoch unter den Wolken, mal unmittelbar vor dem Fenster beobachten kann, und ihr durchdringendes, schrilles Gellen dazu hört sich an, als wollten sie das ganze Severinsviertel darauf aufmerksam machen, welche Lust sie an ihrem scheinbar schwerelosen Fliegen und Jagen haben. Aber die geben jetzt ihre Vorstellung in Afrika. Dafür tschilpt ein Spatz aus der Regenrinne, aufgeregt klingt es, noch ein zweiter fällt ein, sie steigern sich zu einer zornigen Schimpftirade, offenbar das Begleitgeschrei zum Sonntagsausflug der Katze eines Nachbarn über die Dächer.

Diagonal durchs Bild, vom Rhein herüber, ein Entenzug, schon von weit erkennbar an der sich ständig verändernden, aber immer keilförmigen Gruppierung der Vögel, und auch der lange Hals, die weit hinten am Körper angesetzten Flügel, geben diesem Flug etwas Vorwärtsstrebendes, Zielgerichtetes. Da werden keine großen Kurvenfaxen gemacht — man ist unterwegs zum Volkspark in einer ernsthaften Angelegenheit.

Es ist ständig etwas los in meinem eintrittsfreien Lufttheater. Die weißschwarzen Silbermöven gehören längst nicht mehr nur zu den Küsten, sitzen in Scharen auf den Feldern längs der Autobahnen und kreisen als Aasvögel über den Müllkippen wie über den Ausflugsdampfern der Köln-Düsseldorfer, weiß- gebleichte Krähen. Aber wie sie jetzt gelassen, gewichtig, vom Strom hochziehen über die Brücke, ist ihrem Flug anzusehen, daß er die großen Winde gewohnt ist. Wenn die Herbst- und Frühlingsstürme über Köln fegen, dann sind nur noch sie am Himmel, weit verteilt in den brausenden Lüften, sich hochreißend, plötzlich abstürzend, segelnd auf ihren schmalen Sichelflügeln, im Spiel mit den unsichtbaren Windsbräuten, machen die Räume sichtbar.

Ich will nicht behaupten, daß ich heute den Besuch eines schnellen Sperbers oder eines ruhig in seinen hohen Kreisen segelnden Bussards bekommen hätte — diese Solisten verstehen es, sich kostbar zu machen, und die herbstlichen Ketten der großen Zugvögel, Wildgänse und Kraniche, habe ich nur in seltenen, mich dann seltsam erregenden Augenblicken entdeckt. Aber wenn ich jetzt ans Fenster trete, in den kleinen Römerpark hinabschaue, kann ich noch das graublaue Ringeltaubenpärchen mit seinen schönen schlanken Hälsen entdecken, und Kohlmeisen, Blaumeisen, Buchfinken, und Amseln — die gehören zur täglich garantierten Besetzung meines Ensembles. Da kann ich schon noch etwas warten, bis die schwarzen Gesangsmeister wieder oben auf der Antenne sitzen, ihren Schnabel in den Abendsonnenglanz stecken und den Frühling mit ihren unvergleichlichen Koloraturen herbeisingen.

Dann wird auch der Adler wieder vom Baumlaub des Parks verborgen sein, der furchterregend und sehr kriegerisch auf seiner Säule die bronzenen Schwingen über das Andenken der sinnlos umgebrachten Soldaten breitet. Die Stadt hat das alte Fort mit Bäumen und Rosen bepflanzt, zwischen den Kasematten einen Abenteuer-Spielplatz eingerichtet, aber der finstere Vogel blieb, droht noch immer wie ein apokalyptischer Bomber den zimmernden Kindern und boulespielenden Italienern. Vor zwei Jahren hatte die Friedensinitiative bei einem Stadtteilfest ihn mal vorübergehend als Taube verkleidet. Inzwischen hat der Stadtrat beschlossen, den Hindenburgpark Friedenspark zu nennen. Seitdem gehe ich noch lieber dort spazieren und versuche, den Adler als Denkmal für den auch nicht freiwillig ausgestorbenen König der Lüfte zu sehen. Plötzlich, drüben am Strom, eine langsame, weiße Bewegung, dicht überm Wasser, unter der Brücke durch – zwei Schwäne! Dieser schwere Flügelschlag, der überlange Hals, der den Weg sucht, selbst auf die Entfernung erkennbar — das sind zwei Luftschiffe, die ihren mächtigen Körpern das Fliegen abgetrotzt haben. Ich denke, sie sind das Sonntagsgeschenk, statt Sonnenaufgang, jetzt kann er ruhig regnen, der trübe Himmel. Und ich denke: nein – einen Kanarienvogel habe ich wirklich nicht nötig.


Für die Abdruckgenehmigung des Textes danken wir dem Autor.

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Albertus-Magnus-Denkmal

Die Aufstellung eines Denkmals des berühmten Theologen, Gelehrten und Philosophen Albertus Magnus in Köln, war bereits 1928/29 Bestandteil bei den Planungen für einen Neubau der Universität am heutigen Standort. Durch die Vermittlung des Kölner Stadtverordneten und Kunstmäzen Josef Haubrich erhielt der Bildhauer Gerhard Marcks (1889–1981) von der Stadt Köln den Auftrag, dem Gelehrten Albertus Magnus in der Stadt, in der er die längste Zeit seines Lebens wirkte, ein Denkmal zu setzen. Die Errichtung erfolgte 1956.

Den Kölnern gilt Albertus Magnus, dessen berühmtester Schüler Thomas von Aquin (um 1225–1274) war, als einer der großen Bürger des Mittelalters und geistiger Vater der 1388 gegründeten Universität. Die fast drei Meter hohe Bronzeskulptur zeigt in seiner einfachen und verständlichen Bildsprache einen Gelehrten, einen Mann der Wissenschaft in zeitloser Haltung, in Harmonie von Körper und Geist. Abgüsse des Kölner Denkmals stehen vor der Universität in Bogotá in Kolumbien und vor der Universität in Houston/Texas. – Die Skulptur dient heute nicht nur als markanter Treffpunkt bei den Studierenden, sondern sie findet sich auch in literarischen Texten u. a. von Rolly Brings und Joachim Rönneper wieder. 1853 fand Albertus Magnus Aufnahme in das Deutsche Sagenbuch von Ludwig Bechstein.

GE

Gabriele Ewenz, Dr. phil., Literaturwissenschaftlerin, Leiterin des Heinrich-Böll-Archiv und des Literatur-in-Köln Archiv (LiK)

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Texte und Medien

Rolly Brings: Albertus Magnus

Gerhard Marcks: Albertus Magnus, 1956, Bronze © Foto: Michael Maye, 2010

Zischt hin wie Hiebe durch die vergessene Lehre von den zwei Schwertern, zu den Wegmarken im Wirrsal, setzt Leuchtfeuer an Klippen & lässt Nebelhörner rufen. Das Tropfen der Zeit, wenn sie zurück ins Ewige fällt. All dies aber gedacht & geschrieben unterm Kreuz am Pult in seiner Klosterzelle, weltentrückt & untergründig webend, bis an diesem Frühlingsabend er sinnend vor mir thront. Eben noch saßen wir im Audimax unter aufgespannten Utopien im ideologischen Regen. Vom heute Bestehenden sollte nichts mehr währen, & im Dunst unserer Antizipationen wuchs die Blume der Anarchie. Wir fochten dialektisch gegen ihn. Er parierte mit Schweigen.

Köln 1976

Der Text ist eine Erinnerung an die 60er Jahre, in denen ich (wie viele junge Menschen) Bestehendes radikal in Frage stellte. So setzte ich mich auch mit der Staatslehre des großen Gelehrten auseinander, besonders mit seiner Lehre von den beiden Schwertern, dem geistlichen & dem weltlichen Schwert. Albertus Magnus – der Zauberer, wie ich ihn als Kind nannte – gehörte schon immer zum Personal der Sagen & Legenden, die in meiner Familie erzählt wurden. Doch da spielte er eine ganz andere, eine märchenhafte sympathische Rolle.

Rolly Brings

Literatur: Brings: Albertus
Für die Abdruckgenehmigung des Textes danken wir dem Autor.

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Texte und Medien

Ludwig Bechstein: Albertus Magnus

Es war ein berühmter Mönch und hochgelahrter Doktor des Namens Albertus Magnus, vordessen Bischof zu Regensburg und hernachmals zu Köln am Rheine gestorben und begraben. Er war in allen hohen Künsten erfahren, ja auch ein Baumeister. Manche sagen, daß Albertus Magnus den Grundplan des Kölner Doms erfunden und aufgezeichnet habe, und das Chor der vormaligen Dominikanerkirche habe er auch erbaut. In dieser Kirche ruhten seine Gebeine, kamen aber in St. Andreas’ Kirche, als jene der Dominikaner ihre Zerstörung fand.

Im Jahre 1248 kam Kaiser Wilhelm von Holland, Kaiser Friedrich des Zweiten Gegenkaiser, mit ziemlichem Hofstaate gen Köln, und zwar am Tage der heiligen drei Könige, den bat, samt seinem Hofe, Albertus in seinen Klostergarten zu den Predigern zu Gaste. Es war große Kälte eingetreten und fiel ein starker tiefer Schnee, da meinten die Räte und vornehmen Dienstmannen, der Mönch möge wohl sein Gehirn erfroren haben, daß er zu solcher Jahreszeit zu einem Gartenvergnügen einlade, und rieten dem Kaiser, ihrem Herrn, der Einladung keine Folge zu geben. Aber der Kaiser ließ sich dazu nicht bewegen, hieß vielmehr die Seinen ihm folgen, und kamen zu dem Predigerkloster, wurden auch alsobald in den Garten geleitet. Da lagen alle Bäume und Sträucher dick voll Schnee, und waren alle Wege verschneit, und alles Laub und Gras war bedeckt, unter den Bäumen aber standen die Tafeln mit kostbaren Gedecken und Aufsätzen und herrliche Sessel und schmucke Diener zur Aufwartung.

Dem Kaiser machte das Seltsame solcher Anordnung eine Lust, und setzte sich auf den für ihn bereiten Stuhl, da mußten die andern sich auch setzen, und die Tafel hub an. Da klärte sich der Himmel auf, und trat lieblicher Sonnenschein herfür, und verging der Schnee wie ein Dunst, und hoben sich Gras und Laub frischgrün zu Tage, und kamen Blumen aus dem Boden hervorgesproßt, und die Bäume alle trieben Laub und Blüten. Auch Vöglein kamen geflogen und sangen gar lieblich, und wurde sehr heiß allmählich, so daß der Bäume Blüten abfielen und die Fruchtkeime schwollen und die Früchte reiften. Und der Kaiser tät seine winterliche Pelzschaube ab, weil ihm allzu warm wurde, und die andern auch die ihrigen.

Da nun die Mahlzeit mit großen Freuden geendet war, obschon niemand wußte, wer und von wannen die zierlichen und willfährigen Diener waren und wo die Speisen alle zubereitet wurden, da verloren sich die Diener, und die Vögel sangen nicht mehr und entflohen, die Blumen blühten ab, die Bäume wurden fahl, es ward kühl, dann kalt, die Winterschauben wurden wieder umgehangen, der Kaiser hob die Tafel auf, die Sonne verschwand, der Himmel ward grau, und auf Bäumen, Laub und Gras lag wieder Schnee. Alles eilte in das Kloster, um im warmen Refektorium vor der Kälte gesichert zu sein. Kaiser Wilhelm aber pries seinen kunstfertigen Wirt und begabte ihn und den Konvent mit Gütern reichlich und erlebte nie wieder solch wunderseltsames Gastmahl.


Literatur: Bechstein: Albertus.

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Texte und Medien

Joachim Rönneper: Kölner Denkmal im Lockdown

Gerhard Marcks: Albertus Magnus, 1956, Bronze © Foto: Joachim Rönneper 2020

Er, der da sitzt, ist nicht in ein Buch vertieft, schmökert nicht, nein, er schaut ins Weite, vielleicht mit einem Wort auf den Lippen nur, welches er soeben las, mit einer Erkenntnis, die er durch die Lektüre nachsinnend gewann oder mit einem Gedan­kengang, der sich erst in der Ferne erschließt, wer weiß. Doch gewiss ist eines: Er denkt besonnen und ruhig; kein Hellseher, aber ein heller Kopf. Der geistige Horizont ist ihm auf jeden Fall näher als der eigene Tellerrand. Seine Augen sind geöffnet, weit geöffnet. Sein Haupt seitwärts gewandt, der Blick geradeaus. Er trägt Sandalen, einfachstes Schuhwerk ohne Socken, und einen Umhang, nicht wallend und wehend, schnörkellose Reduktion. Alles konzentriert sich. Nichts schweift ab. Auch seine Frisur ist weder wüst noch wild. »Akkurat« scheint das rechte Wort für sei­nen Haarschnitt zu sein, der den Nacken nicht bedeckt, die Ohren frei. Die Nase eher spitz, von Hochnäsigkeit keine Spur. Er sitzt auf einem Hocker mit rechteckig wuchtigen Beinen, Wanken und Wackeln unwahrscheinlich.

Seit 1956 sitzt er da, leicht vornüber geneigt. Den Mann, auf den die Gründung der Kölner Universität im Jahre 1388 zurückgeht, hier sehen wir ihn: den Kirchenlehrer Albertus Magnus (um 1200–1280), den der Bildhauer Gerhard Marcks (1889–1981) eindrucksvoll schuf. Die Bronzestatue misst eine Höhe von 270 cm, auf einem Steinsockel platziert. Schon von weitem erkennt man, dass ein aufgeschlagenes Buch, ein Foliant, im Schoß des Gelehrten liegt. Mit seiner rechten Hand hält er einen Finger zwischen zwei Seiten wie ein Lesezeichen für die nächste zum Weiterlesen – ein geistiges Innehalten vor dem Umblättern; entspannt liegt der Arm auf seinem Oberschenkel. Anders der linke Arm. Der Ellenbogen ist aufgestützt, die Hand unverkrampft. Daumen und Zeigefinger berühren sich, als gäbe es etwas Feinsinniges taktil zu erspüren. Sein ovales Gesicht ist bis auf drei gerundete Stirnfalten glatt, der schmale Mund geschlossen.

Er schweigt, und ich frage mich, was er, der Denker, sagen würde, wenn er heute lebte: ein Denkmal ohne Mundschutz am Eingang der Universität zu Köln.

Köln im April 2020


Literatur: Rönneper: Corona. Siehe auch »Baudriplatz«
Für die Abdruckgenehmigung des Textes danken wir dem Autor.

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Heinzelmännchen-Brunnen

Der Heinzelmännchenbrunnen erinnert in seiner narrativen Ausführung an die Geschichte über die Kölner Wichtelmänner und deren Schicksal. Große Berühmtheit erlangten die Heinzelmännchen durch die Ballade Die Heinzelmännchen zu Cölln, 1836, des schlesischen Dichters August Kopisch (1799–1853), die sie weit über die Stadtgrenze hinaus bekannt machte. Eine erste Überlieferung der Erzählung erschien bereits 1826 durch den Kölner Schriftsteller Ernst Weyden.

Heinzelmännchenbrunnen, historische Ansichtskarte

Im Auftrag des »Cölner Verschönerungsvereins«, der den Brunnen zum 100. Geburtstag August Kopischs stiftete, wurde er 1899 von dem Dombildhauer Edmund Renard (1830–1905) und seinem Sohn, dem Architekten Heinrich Renard (1868–1928), im neugotischen Stil gestaltet und errichtet. Im Vergleich zu großen Teilen des Kölner Stadtgebiets überstand der Heinzelmännchenbrunnen den Zweiten Weltkrieg weitestgehend unbeschadet. Die Originalfigur der Schneidersfrau, die oben auf dem Brunnen steht und mit einer Laterne in der Hand auf die zu beiden Seiten heruntergestürzten Heinzelmännchen leuchtet, befindet sich heute im Kölnischen Stadtmuseum. Auf den seitlich angebrachten Reliefs (die Originale befinden sich ebenfalls im Stadtmuseum) wurden Textauszüge aus Kopischs Ballade verwendet, sie bilden den erzählerischen Rahmen für die sonst bildliche Darstellung am Brunnen. – In der Nähe des Takuplatzes in Neuehrenfeld erinnert noch der Heinzelmännchenweg an die Kölner Sage.

Dieter Wellershoff griff in Pan und die Engel die Geschichte von den Heinzelmännern auf und setzte sich auch bildkünstlerisch mit dem Thema auseinander. In einer Textminiatur würdigte Hans Bender die Brunnengestaltung und die gelungene architektonische Umsetzung des literarischen Stoffes:

»Der Heinzelmannbrunnen, seine Architektur und Skulptur, bezeugen nicht nur die handwerkliche Sorgfalt von Vater und Sohn Renard; auch ihre phantasievolle Kunst und echte Liebe zum lokalen Thema. Sie schufen ein anmutiges Werk im Stil der Neogotik mit den Qualitäten eines Denkmals, das zum Verweilen und Betrachten auffordert. Eine Ballade aus Stein, die den Kölnern etwas bedeutet, aber auch den Fremden, die vorbeikommen, etwas erzählt von der Sehnsucht der Menschen nach unsichtbaren Helfern. Von der Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, die schöner und geruhsamer gewesen sein sollen als die hektische Gegenwart.«

GE

Gabriele Ewenz, Dr. phil., Literaturwissenschaftlerin, Leiterin des Heinrich-Böll-Archiv und des Literatur-in-Köln Archiv (LiK)

Literatur

Siehe: Bender: › Wie war zu Cölln …‹, S. 69; Wellershoff: Pan.

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Museum für Ostasiatische Kunst

1913 wurde das Museum für Ostasiatische Kunst als erstes Spezialmuseum seiner Art in Europa eröffnet. Es beherbergt eine der bedeutendsten Sammlungen von Kunst aus China, Korea und Japan in der Bundesrepublik. Das Museum befindet sich heute in der Universitätsstraße 100. Der Neubau wurde 1977 nach den Plänen des Japaners Kunio Maekawa am heutigen Standort eröffnet. Das Zentrum der Anlage bildet ein kleiner Landschaftsgarten, der in der Tradition japanischer Meditationsgärten von Masayuki Nagare gestaltet wurde. Diese Symbiose von japanischer Architektur und Gartenkunst in Verbindung mit der Präsentation ostasiatischer Kunst machen das Kölner Museum zu einem markanten unverwechselbaren Ort.

Für Dieter Wellershoff war das Museum für Ostasiatische Kunst eines der schönsten Museen Kölns, nicht nur wegen der herausragenden außergewöhnlichen Sammlung, sondern vor allem auch wegen der markanten Architektur und der Einbindung in die Parkanlagen des inneren Grüngürtels. Mit seiner strengen Gliederung und Struktur des Gebäudes griff der Architekt Maekawa auf alte japanische Kulturtraditionen zurück und entwickelte zugleich eine aparte moderne Formensprache. Die Außenmauern des Gebäudes sind durch Glasfronten und Fenster durchbrochen. Hier öffnet und erweitert sich der Raum durch das Wechselspiel von Innen und Außen, das auch für Wellershoff von besonderem Reiz war:  

Museum für Ostasiatische Kunst, 2020. Ansicht von Südosten mit Aachener Weiher © LiK-Archiv Köln

»Mit der Wasserfläche des Weihers und der umgebenden Hügellandschaft des Inneren Grüngürtels rückt die Natur dicht an das Museum heran und wird durch Fenster und Glasfronten in den Innenraum einbezogen. Im innersten Innenraum, dem von Glaswänden umschlossenen Atrium des Museums, erscheint sie noch einmal als stilisiertes Idealbild in dem japanischen Garten, der dort mit sorgfältig ausgewählten und eigens aus Japan eingeflogenen Felsbrocken und Pflanzen von dem japanischen Gartenkünstler und Bildhauer Masayuki Nagare gestaltet worden ist. Wenn ich ins Museum komme, nur um Tee zu trinken und anschließend spazierenzugehen – den japanischen Garten schaue ich mir immer an.«

Anna Seghers, um 1922 © Privatarchiv Anne Radvanyi

Die Schriftstellerin Anna Seghers (1900–1983) studierte von 1921 bis 1922 Kunstgeschichte und Sinologie an der Universität Köln und absolvierte ein Praktikum im Museum für Ostasiatische Kunst, das damals im alten Gebäude des Kunstgewerbemuseums am Hansaring 32 untergebracht war. Ein Foto, das vermutlich während ihrer Kölner Studienzeit aufgenommen wurde, zeigt die Autorin in einem chinesischen Hofbeamtengewand. Einzelheiten über ihre desolate Wohnsituation in Köln beschrieb Seghers in ihren Erinnerungen an Philipp Schaeffer: »Es war schwer gewesen, ein Zimmer zu finden, ich nahm, was ich fand, obwohl es dunkel und schmutzig war […] die Wohnung wimmelte von Mäusen.« In Köln entstanden für Seghers lebenslange Freundschaften u. a. mit Irene With (1890–1966), Ehefrau des Kölner Kunsthistorikers Karl With (1891–1980). – Die Zerstörung Kölns in der Nacht zum 1. Juni 1942 durch Brandbomben der Royal Air Force, nahm Anna Seghers zum Anlass, einen Essay über die historische Bedeutung der Stadt sowie die politischen Konstellationen mit besonderem Augenmerk auf die Kölner Arbeiterschaft zu schreiben. Unter dem Titel Köln erschien der Text bereits in der Juni-Ausgabe 1942 in der von Seghers und Ludwig Renn herausgegebenen Exilzeitschrift »Freies Deutschland« in Mexiko.

GE

Gabriele Ewenz, Dr. phil., Literaturwissenschaftlerin, Leiterin des Heinrich-Böll-Archiv und des Literatur-in-Köln Archiv (LiK)

Literatur

Siehe: Wellershoff: Pan, S. 172ff.; Seghers: Erinnerungen.