Das Ensemble des Offenbachplatzes ist durch die Anordnung der umliegenden Gebäude gegliedert. Hier befinden sich das Opernhaus, 1957 nach Plänen des Kölner Architekten Wilhelm Riphahn (1889-1963) errichtet, der Pavillonbau der Opernterrassen (1957) auf dem »kleinen« Offenbachplatz und als drittes Element des von Riphahn konzipierten Gesamtensembles das 1962 fertiggestellte Kölner Schauspielhaus.
Die 600 Kilogramm schwere monumentale Darstellung der »Sappho« wurde 1963 von der Stadt Köln für die Platzanlage vor dem Schauspielhaus angekauft. Die Skulptur zeigt die griechische Dichterin Sappho, die von 630 v. Chr. bis 570 v. Chr. in Mytilene auf der Insel Lesbos lebte. Sie gilt als die bedeutendste Lyrikerin der griechischen Antike. Mit ihrem Werk, zu welchem Götterhymnen, Hochzeits- und Liebeslieder gehören, hat sie Dichter wie Horaz, Catull und Platon maßgeblich beeinflusst. Zu Beginn des 19. Jh. schrieb der österreichische Dramatiker Franz Grillparzer sein Trauerspiel Sappho (UA, Burgtheater Wien 1818), das von der unerwiderten Liebe der Dichterin zu dem Jüngling Phaon handelt.
Bourdelles eindrucksvolle »Sappho« sitzt kauernd mit geöffneten Augen und zur Schulter geneigtem Kopf auf einem gestuften Sockel, in der rechten Hand hält sie die Lyra, ein Symbol für die Lied- und Dichtkunst. Das stark gefaltete Gewand umhüllt die ruhende melancholische Figur. Der Bildhauer setzte sich mehrfach mit der Sappho-Komposition auseinander. Eine erste kleine Fassung entstand 1887. Die monumentale Kölner »Sappho« stammt von 1925 und ist eine von sieben existierenden Abgüssen.
Sapphos Werke gelten heute weitgehend als verloren, die Überlieferung stützt sich auf Verweise und Zitate anderer Autoren oder auf Papyrusfragmente, so dass sich bislang nur wenige ihrer Gedichte rekonstruieren ließen. Ein sensationeller Fund gab es 2004 am Institut für Altertumskunde der Universität Köln. Durch Zufall entdeckte man auf einem Papyrus, der Teil einer ägyptischen Mumien-Kartonage war, Fragmente eines Gedichtes von Sappho, so dass sich auf dieser Grundlage der Text rekonstruieren ließe. Bei dem Gedicht handelt es sich um eine Elegie auf das Altern. Das Kölner Institut verfügt seit den 1950er Jahren über eine herausragende Papyrus-Sammlung.
Heinrich Böll erlebte als Elfjähriger im Herbst 1929 die Zwangsveräußerung des Hauses in Raderberg und den Umzug in die Kölner Innenstadt. Für ihn war der Wechsel in die urbane Umgebung mit der Mietwohnung am Ubierring 27 ein Schock. Als 21jähriger schrieb er über das »herrschaftliche Mietshaus«, in dem er sich »beim Schein einer ärmlichen Lampe, im trübsinnigen Schlafzimmer« der Wohnung, »deren Zimmer aneinandergereiht an einem langen Flur lagen« den Büchern widmete und die Literatur als Form der Auseinandersetzung mit der Welt für sich entdeckte:
»Aus dem Fenster gab es nur einen Blick, in einen engen, schachtähnlichen, schmutzigen Hof. Wenn man den Himmel sehen wollte, musste man sich schon weit hinaus recken. Da las ich Dostojewski. Ich warf mittags die Schultasche in eine Ecke und verkroch mich, ob draußen Sonnenschein oder Regen war, in das finstere Zimmer.«
Heinrich Böll: Wenn ich danken müßte (1938).
Bedingt durch die zunehmende schwieriger werdende wirtschaftliche Situation, konnten die Bölls die Miete für die Wohnung nicht mehr aufbringen. 1932 erfolgte ein erneuter Umzug der Familie in die ebenfalls in der Südstadt gelegene Maternusstraße.
Markus Schäfer
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin
Im Juli 1922 bezog die Familie Böll eines von sechs neuerrichteten Wohnhäusern in der Siedlung »Am Rosengarten« im Stadtteil Raderberg. Das Haus wurde von einer Baugenossenschaft errichtet, zu der sich einige Familienmitglieder zusammengeschlossen hatten. Ihr Vorsitzender Theodor Böll war wie der Architekt Aloys Böll ein Onkel Heinrich Bölls. Alle anfallenden Schreinerarbeiten wurden von seinem Vater Viktor übernommen.
Heinrich Böll verbrachte in Raderberg zunächst die wohl unbeschwertesten Jahre seiner Kindheit und ersten Schulzeit. Als Klaus Wagenbach 1965 Böll dazu aufforderte, einen besonderen Ort zu porträtieren, wählte er Raderberg und widmete vor allem dem angrenzenden Vorgebirgspark eine ausführliche Beschreibung.
»Acht Jahre lang wohnten wir in dieser Straße, die von zwei ›Lagern‹ bestimmt war, dem bürgerlichen und dem sozialistischen (das waren damals noch wirkliche Gegensätze!), oder von den ›Roten‹ und den ›besseren Leuten‹. Ich habe nie, bis heute nicht begriffen, was an den besseren Leuten besser gewesen wäre oder hätte sein können.«
Heinrich Böll: Raderberg, Raderthal (1965)
Bölls sorglose Kindheit wurde jäh beendet, als in Folge der Weltwirtschaftskrise 1929 die »Rheinische Kredit-Anstalt«, für die Viktor Böll als Bürge gezeichnet hatte, liquidiert wurde. Durch die 1930 abgerufenen Bürgschaften geriet die Familie in massive wirtschaftliche Bedrängnis, sodass letztlich das Haus in der Kreuznacher Straße veräußert werden musste. »Es war ein düsteres Jahr. Totaler finanzieller Zusammenbruch, nicht gerade eine klassische ›Pleite‹, nur ein ›Vergleichsverfahren‹, ein Vorgang, den ich nicht durchschaute, es klang jedenfalls vornehmer als ›Bankerott‹, hing mit dem Zusammenbruch einer Handwerkerbank zusammen, deren Direktor dann auch, wenn ich mich recht entsinne, hinter Gitter kam. Mißbrauchtes Vertrauen, verfallene Bürgschaften, unseriöse Spekulationen. Unser Haus im Grünen mußte verkauft werden, und es blieb kein Pfennig von der Kaufsumme übrig.«
Markus Schäfer
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin
Heute Nachmittag ging ich wieder, wie so häufig zum Baudriplatz in Köln Nippes, setzte mich auf die grüne Bank, es steht nur eine dort, trank einen Kaffee aus einem Becher, Mineralwasser, rauchte und aß etwas Süßes. Ich beobachtete ein Insekt, das vor mir auf dem Steinboden zwischen Unkraut und Ritzen umher krabbelte: eine »gemeine Feuerwanze« (Pyrrhocoris apterus). Sie fällt durch ihre markante Färbung und Zeichnung aus: »Der Kopf und die Fühler sind schwarz gefärbt. Der Halsschild ist am Rand rot, in der Mitte trägt er einen annähernd rechteckigen, schwarzen Fleck, der oft in einen größeren vorderen und zwei kleinere hintere Teilflecke aufgelöst ist.« (wikipedia). In einem Anflug von Neid sah ich die »gemeine Feuerwanze«, die weder Impfstoff noch Kontaktsperre kennt. Das Datum von heute kreuzte ich später in meinen Kalender für das Jahr 2021 rot an. Dann werde ich mich in einem Jahr mit Kaffee, Mineralwasser und Süßem auf die besagte Bank setzen und mich fragen wollen, was ich von der Corona-Zeit, sollte sie überhaupt vorüber sein, im Gedächtnis behalten habe.
Kürzlich lag auf meiner »Corona-Bank« ein Stadtplan für Paris: ein gemeines Geschenk zum Mitnehmen angesichts aktueller Reiseverbote. Ich faltete den Plan auseinander und sah auf Anhieb die Champs-Élysées, die Prachtstraße mit ihren Bars und Cafes, alle geschlossen. Bon jour Tristesse. Die Pandemie ist ein Straßenfeger. Kein Flaneur, kein Liebespaar in der Weltstadt der Liebe unterwegs, verklungene Chansons. Das pralle Leben steht still, totenstill. Nichts geht mehr rien ne va plus. Von der Einmaligkeit und Unwiederbringlichkeit des Lebens erzählt Charlotte Grasnick in ihrem Gedicht Kaffee schwarz lyrisch. Ein alltäglicher Vorgang und Genuss in Gestalt einer Tasse Kaffee symbolisiert akzeptiertes Werden, Sein und Vergehen in Einmütigkeit. Eine vielleicht henkellose Tasse mit schwarzem Kaffee vergleicht sie mit einem Auge aller Menschen: schwarze Pupille – die Sklera weiß. Der Bodensatz, ein Sinnbild unergründlichen Sinns, bleibt verborgen. Alles kühlt im weiteren Lebensverlauf ab. Es gibt kein Aufwärmen, keine Wiederholung. Was war, war – jenseits von Fatalismus und Schicksalsgläubigkeit und sie, die Dichterin, trinkt ihren Kaffee schwarz, wie es überall alltäglich vorkommt, sie trinkt ihn, die Tasse aus: ein anregendes und tröstliches Gedicht. Ich faltete den Stadtplan wieder zusammen, ging und ließ den Stadtplan liegen für einen, der da kommen wird – Paris.
Der Kölner Schriftsteller und Herausgeber Joachim Rönneper verfasste zwischen März und Mai 2020 ein »Corona-Tagebuch«. Es handelt sich um fast täglich niedergeschriebene Aufzeichnungen, in denen die Eindrücke, Erlebnisse und Fakten einer menschheitsgeschichtlichen Katastrophe im 21. Jahrhundert, der Pandemie SARS-CoV-2, durch den Autor dokumentiert und kommentiert werden. Persönliches und Poetisches, Entsetzliches und Schreckliches stehen in Rönnepers Notaten gleichwertig nebeneinander. Der Schriftsteller wird zum Protokollanten einer Krise, die es in einer vergleichbaren Form und mit diesem gewaltigen Ausmaß bislang nicht gab. Erlebtes und Gesehenes werden von Rönneper literarisch verarbeitet. Wie der Schriftsteller die Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen erlebte, schildern Textminiaturen und Zusammenstellungen von dokumentarischem Material. Rönneper wählte einen exponierten Standort, von dem aus er die Welt im Lockdown beobachten und auf sich einwirken lassen konnte: Eine unscheinbare grüne Sitzbank auf dem Baudriplatz wurde für ihn zum Mittelpunkt des Geschehens.
Heute stellte ich mich erfolglos mit einem selbst gebastelten Schild vor einen Kölner Supermarkt. (Als ich 11 Tage später auf einer öffentlichen Bank saß, kam eine junge Frau mit Kinderwagen auf mich zu und bot mir unvermittelt Klopapier an. Dankend nahm ich an: »FEUCHTES TOILETTENPAPIER. sanft & sicher. CLASSIC. 70 Tücher.« Wir wünschten uns einen schönen Tag, und sie ging weiter.)
Das Gebäude greift mit den beiden Pferde-Skulpturen die Geschichte des Kölner Patriziers Mengis von Aducht und seiner Ehefrau Richmodis auf, deren Haus »Zum Papagei« am Neumarkt 6, Ecke Olivengasse stand. Als die Pest im 14. Jahrhundert in Köln wütete, wurde auch Richmodis von ihr heimgesucht und nach ihrem scheinbaren Ableben auf dem Friedhof von St. Aposteln, der damals in unmittelbarer Nähe der Basilika lag, beigesetzt. Grabschänder erhofften sich reiche Beute und hoben die Grabplatte an, die Scheintote erwachte, stieg aus ihrem Grab und ging zu ihrem Wohnhaus zurück. Als ihr Ehemann Mengis seine Frau, die am Tor um Einlass bat, sah, soll er ausgerufen haben, dass eher seine Pferde die Treppe heraufliefen, als dass seine Gattin von den Toten auferstanden sei. Kaum ausgesprochen, rissen sich die Pferde im Stall los und galoppierten die Turmtreppe hinauf, so berichtet es die Sage.
Das heutige Richmodishaus wurde 1928/29 nach Plänen des Architekten Paul Bonatz (1877-1956) als Büro- und Geschäftshaus gebaut. Das Gebäude lässt durch seine gotische Anmutung deutliche Bezüge zu den historischen Vorgängerbauten erkennen. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus nebst Turm fast vollständig zerstört, dabei verbrannten auch die von dem Kölner Bildhauer Christoph Stephan (1797-1864) gestalteten hölzernen Pferdeköpfe am Wendeltreppenturm. 1958 wurden die Köpfe von dem Bildhauer Wilhelm Müller-Maus neugestaltet.
GE
Gabriele Ewenz, Dr. phil., Literaturwissenschaftlerin, Leiterin des Heinrich-Böll-Archiv und des Literatur-in-Köln Archiv (LiK)
(Nach Kiefer, Sagen des Rheinlands S. 48. Poetisch behandelt v. E. v. Groote bei Ziehnert, Preuß. Sagen Bd. III. S. 215 etc.)
Um die Mitte des 14. Jhdts. lebte zu Cölln auf dem Neumarkt ein Herr von Aducht, reich und hochangesehen, mit seiner Ehefrau Richmodis. Die zwei Eheleute liebten sich zärtlich, was eins wollte, das wollte auch das andere und ihre Ehe war ein Muster für alle Hauswirthschaften. Da trug es sich zu, daß die Pest im Jahre 1357 auch in Cölln ausbrach und fürchterlich wüthete. Niemand kam mehr zu dem Andern, Jedermann sperrte sich ab und so kam es, daß als Frau Richmodis ebenfalls an der bösen Seuche erkrankte und im Laufe einiger Stunden derselben auch erlag, an eine genaue Untersuchung der Verblichenen, ob sie wirklich todt sei, Niemand dachte, sondern daß man, um Ansteckung zu verhüten, die Leiche so schnell als möglich aus dem Hause schaffte und dieselbe eiligst und in aller Stille auf dem Friedhofe zu St. Aposteln beisetzte. Doch hatte der tiefbetrübte Gatte, um sein geliebtes Weib wenigstens einigermaßen noch im Tode zu ehren, ihr ein kostbares Geschmeide und einen prachtvollen Ring ins Grab mitgegeben. Dieser Umstand war den Todtengräbern nicht entgangen, sie beschlossen das Grab zu öffnen und sich jener Kleinode zu bemächtigen. Sie stiegen also um die Mitternachtsstunde in die Gruft hinab und schon hatten sie die Leiche alles ihres Schmuckes beraubt, und bemühten sich eben ihr den etwas festsitzenden Ring vom Finger zu ziehen, als sie sich plötzlich aufrichtete und die Frevler mit großen Augen anstarrte – Frau Richmodis war nämlich nur scheintodt gewesen. Die Räuber in dem Wahn, der Geist der Abgeschiedenen wolle ihre Unthat rächen, ergriffen die Flucht und eilten so bestürzt davon, daß sie das Geschmeide sowohl als die Laterne, welche sie mitgebracht hatten, zurückließen. Nicht minder groß war aber das Entsetzen der aus dem Todesschlafe erwachten Frau Richmodis, als sie vollends zu sich kam und sah, an welchem Orte sie sich befand. Sie nahm jedoch nach und nach ihre Kräfte zusammen, raffte sich aus ihrer geistigen und körperlichen Betäubung auf, stieg aus dem Sarge und versuchte nun, die Leuchte in der Hand, aus der Gruft heraus zu klettern und den Weg nach ihrer Wohnung anzutreten. Dies gelang ihr auch, freilich mit vieler Mühe und sehr langsam, allein endlich langte sie doch an ihrem Hause an, wo Alles in tiefem Schlafe lag. Frau Richmodis mußte lange pochen, bis endlich einer der Diener des Hauses aufwachte und durchs Fenster hinaus fragte, wer da sei und so spät noch Einlaß begehre? Als sie dem Fragenden ihren Namen sagte und derselbe auch sofort die Stimme seiner Herrin erkannte, da eilte derselbe von Entsetzen ergriffen hinauf ins Schlafgemach des Hausherrn, weckte ihn und berichtete demselben zitternd vor Angst was er eben gehört hatte. Herr von Aducht aber wollte dem Diener nicht glauben, hieß ihn einen furchtsamen Thoren und rief endlich, da derselbe die Wahrheit seiner Aussage mit den feierlichsten Schwüren betheuerte: »Meine Hausfrau kann ebenso wenig vom Tode auferstanden sein, als meine zwei Pferde aus dem Stalle brechen und auf den Söller steigen werden, um von da hinab in die Straße zu schauen!«
Richmodis-Sage in einer Darstellung aus dem 17. Jhr. Kupferstich von Abraham Aubry
Kaum hatte er jedoch diese Worte gesprochen, da ließ sich auf der Treppe ein gewaltiges Trampeln und Poltern hören und mit Grauen sah Herr von Aducht, wie seine zwei Schimmel eben im Begriffe waren zum Speicher emporzuklimmen. Da leuchtete ihm ein, daß der Diener doch die Wahrheit gesprochen haben müsse und daß bei Gott kein Ding unmöglich sei, er eilte die Treppe hinunter, öffnete die Hausthüre und siehe vor derselben stand seine Gemahlin im Sterbekleide, vor Frost bebend, aber doch lebendig. Die sorgsamste Pflege verschaffte ihr bald ihre Kräfte wieder, sie lebte noch eine Reihe von Jahren gesund und glücklich mit ihrem Gatten, gab ihm auch noch drei Söhne, allein sie blieb seit dieser Auferstehung doch stets in sich gekehrt und ernst und Niemand hat sie seit dieser Zeit je wieder lachen sehen.
Noch lange zeigte man aber in Cölln das ehemalige Aducht’sche Haus, welches den Namen zum Papageien führte, auch ihr Grab ward lange erhalten, auch ein Gemälde, worauf die ganze Begebenheit abgebildet war, befand sich in der Apostelkirche zu Cölln in der Vorhalle bis zum Jahre 1585, wo dieselbe abgebrochen ward und das Bild wegkam. Noch heute aber zeigt man in der genannten Kirche ein Fastentuch, welches sie aus Dankbarkeit für ihre Errettung aus der Todesgefahr dieser Kirche geweiht und selbst kunstreich gewebt hatte. Auf diesem sind Maria und die Jünger dargestellt, wie sie zum Gekreuzigten flehen, am Kreuze aber liegt ein Schädel, auf dem drei Rosen blühen, aus diesen aber schweben drei Engel hinauf zum Heiland und rechts und links liegen Rittersleute auf den Knieen und beten. Der Schädel aber, die Rosen und Engel beziehen sich auf einen Traum, den sie einst vor ihrer Erkrankung geträumt hatte, aber nicht zu deuten vermochte. Sie hatte nämlich vorher, da ihre Ehe kinderlos geblieben war, oft zur h. Jungfrau gebetet, sie möchte ihr doch Kinder schenken. Da träumte sie einst, die h. Jungfrau trete aus ihrem Bilde, welches in ihrem Schlafzimmer hing, heraus, reiche ihr ein Todtenköpflein und aus dem Schädel erhöben sich drei Rosen, aus deren Dufte drei Englein sanft empor wuchsen. Jetzt wußte sie wohl, was der Traum gewollt, der Todtenkopf bezog sich auf ihre vorzeitige Beerdigung, die drei Englein aber auf die drei Knaben, die ihr der Herr später noch schenkte. Ein Paar hölzerne Pferde[1] als Wahrzeichen dieser wunderbaren Begebenheit sahen noch Jahrhunderte lang von den Speicherfenstern des ehemaligen Hackeneyschen Hauses auf dem Neuen Markte und zum Andenken hat man auch der an ihre Wohnung angrenzenden neuen Straße den Namen der Richmodisstraße gegeben.
Der englische Schriftsteller George Orwell (1903–1950), der vor allem durch die Fabel Animal Farm (1945) und seinen dystopischen Roman Nineteen Eighty-Four (1949) einem größeren Publikum bekannt wurde, hielt sich im März 1945 für kurze Zeit in Köln auf. Im Auftrag der britischen Wochenzeitung The Observer schrieb Orwell Reportagen aus dem befreiten Frankreich und dem besetzten Deutschland.
Als die Amerikaner am 5.3.1945 mit Köln die erste Großstadt des Landes eroberten, fanden sie eine zerstörte entvölkerte Stadt vor. Journalisten wie Janet Flanner, Stephen Spender und George Orwell berichteten ihren Landsleuten von den aktuellen Geschehnissen und ihren Eindrücken am Rhein. Am 15.3.1945 reiste Orwell zuerst nach Paris und eine Woche später nach Köln. Unter dem Titel Creating Order out of Cologne Chaos erschien am 24.3.1945 Orwells Berichterstattung im Observer. – Wenige Tage später musste der Autor auf Grund seines desolaten gesundheitlichen Zustandes mit einer Lungenentzündung in einem Kölner Krankenhaus stationär aufgenommen werden. In dieser Zeit erhielt er die Nachricht vom plötzlichen Tod seiner Ehefrau Eileen, woraufhin Orwell Köln verließ und nach England zurückkehrte, leider zu spät, um noch an der Beisetzung seiner Frau teilzunehmen. – In seiner Reportage beschrieb der Kriegskorrespondent das Ausmaß der zerstörten Rheinmetropole:
Der ganze Kern der Innenstadt, einst berühmt wegen seiner romanischen Kirchen und seiner Museen, ist ein einziges Chaos: zerklüftete Mauern, umgestürzte Straßenbahnwagen, zerschossene Denkmäler und gewaltige Schuttberge, aus denen Eisenträger wie Rhabarberstangen hervorragen.
George Orwell
Orwell sah das ehemalige »Herrenvolk« auf der Suche nach Trinkwasser mit Fahrrädern durch die Trümmer von Köln fahren. »Es ist schwer vorstellbar, daß es sich um die gleichen Menschen handelt, die gerade noch den europäischen Kontinent« beherrschten, konstatierte er. »Die Propaganda, vor allem ihre eigene, hat uns glauben gemacht, daß sie alle hochgewachsen, blond und arrogant seien. Was man in Köln jedoch tatsächlich sieht, das sind eher gedrungene, dunkelhaarige Menschen, offensichtlich demselben Schlag zugehörig wie die Belgier jenseits der Grenze. Jedenfalls sind sie keineswegs besonders auffällig.« Der Autor lobte die zupackende Art der amerikanischen Besatzer, die versuchten möglichst schnell mit den Aufräumarbeiten zu beginnen: Bulldozer schaufelten die mit Schutt bedeckten Straßen frei, eine primitive Wasserversorgung mittels Pferdewagen wurde organisiert, die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung wieder hergestellt und Entnazifizierungsprogramme durchgeführt.
Historische Ansichtskarte: Allianzgebäude Köln, 1950er Jahre
Im Allianzgebäude am Kaiser-Wilhelm-Ring (eines der wenigen unbeschädigten Verwaltungsgebäude in der Stadt) wurde von der Militärregierung die städtische Verwaltung, der Stadtrat und das britische Militärgericht eingerichtet. Orwell nahm an der ersten Verhandlung teil, bei dem ein »junger, unappetitlich aussehender Nazi, einer der Führer der Kölner Hitler-Jugend«, vor Gericht stand. Aber keineswegs »weil er dieser Organisation angehört hatte – die Militärregierung ließ bekanntgeben, dass die Zugehörigkeit zu einer Nazi-Organisation allein noch kein Vergehen darstelle –, sondern wegen der Verheimlichung seiner Mitgliedschaft und wegen des Versuchs, die Mitgliederliste der HJ vor den amerikanischen Behörden zu verbergen.« Der Angeklagte wird zu einer siebenjährigen Haft und einer Geldstrafe von 10.000 Mark verurteilt. Das Urteil erscheint dem Prozessbeobachter als ziemlich streng, aber gerecht, denn »er war ganz offensichtlich schuldig, und die Fairness des gesamten Gerichtsverfahrens war derart beeindruckend, daß selbst der deutsche Verteidiger anerkennende Worte fand.«
GE
Gabriele Ewenz, Dr. phil., Literaturwissenschaftlerin, Leiterin des Heinrich-Böll-Archiv und des Literatur-in-Köln Archiv (LiK)
Es schlägt der Leuchtturm durch die Nacht Seine unermüdlichen Strahlen. Es schleichen Schiffe überwacht, Die lassen sich bezahlen.
Wie Perlenreihen und Geschmeid Lichtern die Ufer am Rheine. Ein Mädchen weint ihr Herzeleid Am Kai auf steile Steine.
Sie trägt ein helles Wiesenkleid Und steht sonst ganz im Dunkel. Das Wasser spiegelt kein Herzeleid, Es spiegelt nur Gefunkel.
Ich rufe schmatzend den Ober herbei. Er will mich nicht verstehen. Ich wünsche: Es möchte sich die Bastei Jetzt karussellartig drehen.
Nach kurzer Fahrt getrennt
Es reimt sich was, Und es schleimt sich was, In den Austern im Kölner September. Ich sitze – und niemand sonst ist dabei – Vor blinkenden Lichtern in der Bastei, And I remember. Heute wird nicht gegeizt,
Wird mit Champagner geheizt, Für dich söffe ich Tinte. Paris ist nicht weit von hier. Könnten wir! – Wollen wir Uns dort treffen, Lobintte??
Noch immer bin ich neugierig, zu erfahren, was auf mich zukommt, wenn ich der Stadt entgegengehe. Einmal möchte ich ihr schlagendes Herz sehn… Es gibt in der Malerei eine Richtung, die man Pointillismus nennt. Die Pointillisten haben alle Dinge aus ungemischten Farbpunkten zusammengesetzt oder umgekehrt, alle Dinge in Punkte aus ungemischter Farbe aufgelöst. In der Hohe Straße finden akustisch-pointillistische Ereignisse statt: Das große, amorphe Dröhnen der Stadt wird in punktuelles Absatzgeklapper aufgelöst. Ich habe einmal als Köln-Besucher im Hotel Callas in der Hohe Straße geschlafen. Die Glocken der Kirchen weckten mich mehrmals, ich drehte mich um und schlief weiter. Gegen neun Uhr überfiel mich eine merkwürdige Unruhe: Wie jemand, der den Verdacht schöpft, in seinem Hause zernagten Holzwürmer die Tragebalken, genauso beunruhigt merkte ich auf ein klopfendes, mitteilsames Geräusch. Es drang aus dem Straßenschacht zur vierten Etage. Ich trat ans Fenster: Menschen! Nichts weiter, als Menschen, die laufen. Aber was heißt da – ›nichts weiter‹? Eine melancholische Unruhe sickert mit dem Menschenstrom vom Fußgängercentrum in die kleineren Gassen und auf die Plätze. Habe ich wirklich das Herz der Stadt passiert, oder ist es heute anderswo zu finden? Vielleicht liegt es vor meiner Haustür. Ich sehe zum Fenster hinaus auf die Straße. Da kommt gegen elf Uhr vormittags eine weiße Hochzeitskutsche mit zwei der letzten Pferdchen angeprescht. Die Ampel auf der Fahrbahn jenseits der Baumreihe steht auf rot, der Hochzeitskutschenkutscher zügelt die Pferde, die Kutsche hält, der rechte Schimmel bricht vor der roten Ampel zusammen, seine Hufeisen klappen ein letztes Mal, Funken sprühn, die Braut und der Bräutigam verlassen die Hochzeitskutsche, wie man ein brennendes Haus verläßt, Frack und Schleier wehn der Agneskirche zu, tatüütataa die Tierärzte kommen, tatüütataa die Feuerwehr kommt, zwölf behelmte Männer schreiten mit ihrer Bahre auf das Pferd zu, plötzlich umsteht eine schwarze Wolke von Menschen die Straßenecke, weil so viele Kölner Bürger ein Pferd mögen, schon gar ein umgefallenes. Ich sehe aus meinem Fenster auf einen brodelnden Menschenklumpen, – das Herz der Stadt? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, die Stadt hat ein Herz. Am starken Wechsel von Belebung und Belebtsein habe ich teil.