Man hat den Dom, und als Kölner wird man wohl tausend Mal vor diesem Trumm gestanden haben. Jaja, unser Dom, eben: Der Dom.
Nur fünfzig Meter entfernt, vor dem Westportal, leicht versetzt, unterhalb von drei Stufen zur Domplatte, die allein übrig geblieben sind von den Treppen und Auffahrten zum Domhügel, da findet man einen kleinen Brunnen. Man muss schon hinsehen.
Es ist keine Fontana di Trevi, nicht mal der große Petersbrunnen »Drüjer Pitter«, der seine Standorte schon fast überall um den Dom herum hatte. Nichts mit Gischt Wasserfahne, Delphinen, Fischen und Neptun. Nein, nur eine flache Schale, eine Kuhle, ein Kreis. Und drumherum ein Oval, der Boden ist ausgelegt mit Mosaiksteinchen, wie aus einem Geometriebuch. Es erinnert an ein Auge, mit Pupille. Blau sind die Steinchen, und weiß, und schwarz. 1953 hatte Ewald Mataré das Brünnchen fertig. Und durch die Kuhle zieht sich, wie gesagt im Kreis, eine Spirale, durch die Wasser linksherum Iäuft. Das Wasser kommt aus einem Basaltblock, ein Klotz, aber nicht klotzig. Zwei kleine Geländer geben Schutz, halten die Leute ein wenig ab, ein bisschen.
Als Kind wollte ich immer, wenn wir in der Nähe waren, zuerst zum Taubenbrunnen. Der war klein wie ich, den konnte ich gut überblicken, da konnte ich was mit anfangen, da konnte man ein Zettelchen schwimmen lassen und mit den Augen begleiten. Und im Sommer konnte man sein Taschentuch, nicht aus Papier, nein; richtig aus Stoff ins Wasser tunken, sich die Stirn wischen oder es in den Nacken legen. Und die Spatzen hüpften so nett und suchten was zum Picken. Und wenn eine Taube kam, wurde die verjagt. So war das damals. Da gab es Spatzen noch zuhauf. Jetzt haben wir nur noch Tauben und die kacken alles voll. – Diesem kleinen Brunnen hatte ich mich verschrieben. Damals war mir der Dom noch zu groß, bis in die Wolken ragte der. Der kam später dran.
Am 17. April 1950 machte der Bildhauer Ewald Mataré den ersten Eintrag in sein Tagebuch, dass er in Köln einen Taubenbrunnen vorschlagen will, für den Platz vor dem Hauptbahnhof. Dort würden die Menschen immer Tauben füttern, und dann sollten die Tauben auch etwas zu trinken haben. Am 4. August 1953 wurde der Brunnen dann eingeweiht, aber nicht vor dem Bahnhof. Das Gelände gehörte der Bahn, und die wollte nicht. Da sprang der Stifter ein, die Bank für Gemeinwirtschaft, die es schon lange nicht mehr gibt. Und vor deren Haus fand der Brunnen seinen Ort. In dem Haus ist jetzt das Domforum.
Mataré schreibt in seinem Tagebuch von fünfzig Leuten, die dabei waren, als der Oberbürgermeister Görlinger sprach, dass es eine Urkunde gab und dass jemand »La Paloma« auf der Trompete blies. Und dass eine Flasche Steinhäger geköpft wurde. Und dann habe das Wasser in drei kleinen Strahlen seinen Weg gesucht und gefunden. Vor Freude habe der Trötenmann noch zwei Strophen gespielt. Und am Ende, so gegen neun Uhr des Abends, sei die ganze Korona zu Denant gezogen, einem Lokal, das es damals noch gab.
Der Taubenbrunnen war in Köln der erste Brunnen nach dem Krieg, und der erste moderne, abstrakte. Da denkt man nun, dass so etwas geschätzt wird, dass man damit ordentlich und angemessen umgeht. Aber nein, und da ist Köln dann doch nur Köln. Man hat hier aber auch so viel, wo andere Städte und Länder sich die Finger nach lecken! Vielleicht zu viel. Wie oft schon sind Mosaiksteinchen fortgebrochen, dann wurden mal alle blauen abgekratzt. Gerade die blauen, die wie Splitter das Blau des Himmels spiegeln sollten! Die zierliche, fein ziselierte flache Schüssel mit widerlichen Flecken und Placken. Dann lief lange Zeit kein Wasser mehr. Und die Bänke, die mal hier standen, sind schon lange weg. Da könnten ja Penner drauf liegen. Du lieber Gott! – Die blauen Steinchen hat man mittlerweile wieder eingesetzt. Ewald Mataré, der große Bildhauer und Maler, hat gewusst, wie man eine Brücke schlägt Das Intime und Zerbrechliche des Brünnleins in unmittelbarer Nachbarschaft zu dieser tausendfachen Ansammlung von Filigranem an diesem Riesengebirge Dom, an dessen Südportal die Ecke rum er die Türen gestaltet hat, zusammen mit seinem Lehrjungen Beuys. Der große, schwarze Dom, die kleine Kuhle, mit ihren Wassertropfen für Vögel und Hunde, Kühlung für Stirn und Hände, ein kleiner Platz, um ruhig zu werden in dem Gebrabbel, Geschrei und Gerenne.
Literatur: Foxius: Taubenbrunnen
Für die Abdruckgenehmigung des Textes danken wir dem Autor.